Gruppenbild mit Dame: Roman (German Edition)
Menschen aus, und alle seine Mitarbeiter, Architekten, Techniker,
Kaufleute, bewundern, die meisten verehren ihn. Die Ausbildung und Erziehung seines Sohnes plant er sorgfältig und beobachtet
sie genau, er kontrolliert sie; er besucht den Jungen häufig, holt ihn selten nach Hause, weil er – überraschende, verbürgte
Aussage (Hoyser) – nicht will, daß er sich mit Geschäften schmutzig macht. »Er denkt für ihn an eine Gelehrtenlaufbahn, nicht
irgend son Professor, sondern einer wie der, für den wir mal die Villa gebaut haben.« (Hoyser – nach H.s Aussage handelte
es sich um einen ziemlich bekannten Romanisten, dessen Bibliothek, dessen Weltläufigkeit, dessen »direkter und herzlicher
Umgang mit Menschen« Gruyten imponiert haben muß.) Mit Ungeduld stellt er fest, daß sein Sohn, als er fünfzehn ist, »Spanisch
noch nicht so gut kann, wie ich erwartet hatte«. – Eins hat er nie getan: Leni für eine »dumme Pute« gehalten. Ihre Wut anläßlich
der Überreichung der Erstkommunion hat ihn keineswegs verärgert, er hat (was sehr selten in seinem Leben nachgewiesen ist)
laut darüber gelacht, und sein Kommentar lautete: »Die weiß genau, was sie haben will« (Lotte H.).
Während seine Frau immer mehr verblaßt, ein bißchen weinerlich und sogar ein bißchen frömmlerisch wird, kommt er in die »besten
Jahre«. Eins hat er nie gehabt und wird er bis ans Ende seiner Tage nicht haben: Minderwertigkeitsgefühle. Er mag Träume gehabt
haben – was seinen Sohn betrifft, bestimmt, und was seine Wünsche |88| für dessen Spanischkenntnisse angeht, sogar ganz sicher. Dreizehn Jahre nachdem (laut Marja van Doorn) keine ehelichen Beziehungen
zwischen ihm und seiner Frau mehr bestehen, betrügt er sie immer noch nicht, jedenfalls nicht mit anderen Frauen. Er hat eine
überraschende Abneigung gegen Zoten, die er offen zeigt, wenn er notgedrungen hin und wieder an »Herrenabenden« teilnimmt
und unvermeidlicherweise gegen zwei, drei Uhr morgens ein gewisses Stadium erreicht wird, wo einer der Herren nach einer »heißblütigen
Tscherkessin« verlangt. Gruytens Zurückhaltung in puncto Zoten und »Tscherkessinnen« bringt ihm einigen Spott ein, den er
gelassen hinnimmt (Werner von Hoffgau, der ihn ein Jahr lang gelegentlich zu solchen Herrenabenden begleitete).
Was ist das für ein Mensch, fragt sich der immer ungeduldiger werdende Leser gewiß, was ist das für ein Mensch, der sozusagen
keusch dahinlebt, an Kriegsvorbereitungen, am ausgebrochenen Krieg verdient, dessen Umsatz (laut Hoyser) von etwa einer Million
jährlich im Jahre 1935 im Jahre 1943 auf eine Million monatlich gestiegen ist und der im Jahre 1939, als sein Umsatz immerhin
eine Million vierteljährlich betragen haben muß, der alles versucht, seinen Sohn dieser Geschichte zu entziehen, an der er
selbst reich wird?
Es entsteht in den Jahren 1939 und 1940 Gereiztheit, ja Bitterkeit zwischen dem Vater und dem heimgekehrten Sohn, der von
den drei Bergen des Abendlandes hinabgestiegen ist und vier Eisenbahnstunden entfernt irgendwo Moore entwässert, mag er auch
inzwischen – auf dringenden Wunsch seines Vaters, der einem spanischen Jesuiten ein saftiges Extrahonorar dafür bezahlte –
Cervantes im Original lesen können. Zwischen Juni und September |89| besucht der Sohn die Familie etwa siebenmal, zwischen Ende September 1939 und Anfang April 1940 etwa fünfmal und hat es abgelehnt,
sich des ihm offen angebotenen »langen Arms« seines Vaters zu bedienen, dem es »ein leichtes gewesen wäre« (alle Zitate von
Hoyser sen. und Lotte), ihn in eine »angemessene Situation abkommandieren zu lassen« oder für ihn als kriegswichtigen Mitarbeiter
seine endgültige Entlassung zu bewirken. Was ist das für ein Sohn, der, nach seinem Befinden und seinen Lebensumständen beim
Militär befragt, am Frühstückstisch ein Buch aus der Tasche zieht mit dem Titel: Reibert, Der Dienstunterricht im Heer, Ausgabe für Panzerabwehrschützen , neubearbeitet von einem Dr. Allmendinger, Major, und draus vorliest, was er brieflich noch nicht mitgeteilt hat: eine fast
fünf Seiten lange Abhandlung mit der Überschrift »Ehrenbezeigungen«, die detailliert alle Arten des militärischen Grüßens,
im Gehen, Liegen, Stehen, Sitzen, zu Pferde und im Auto und wer wen wie zu grüßen habe, beschreibt? Man muß sich vorstellen,
daß sich es hier um einen Vater handelt, der nicht etwa stets und ständig zu Hause hockt
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