Gruppenbild mit Dame: Roman (German Edition)
einberufen worden,
wo er mit seinem Vetter Heinrich zusammentraf, der ihn unter seine Fittiche nahm und anläßlich der Urlaubsbesuche ziemlich
offen |92| mit seiner Schwester Leni zu verkuppeln versuchte. Er kaufte ihnen Kinokarten und »schickte sie damit los« (M. v. D.), er
verabredete sich mit ihnen nach dem Kino, »ging aber dann nicht hin« (siehe oben). Da Erhard auf diese Weise nicht nur den
größten Teil seines Urlaubs, nein, den ganzen Urlaub bei den Gruytens verbrachte, seiner Mutter nur sporadisch kurze Besuche
abstattete, ist diese bis auf den heutigen Tag verbittert; geradezu empört wies sie die Möglichkeit zurück, es habe eine Liebesbeziehung
»mit ernsthaften Absichten« zwischen ihrem Sohn und Leni bestehen können. »Nein, nein und nochmals nein – dieses Na-ja-Mädchen
– nein.« Nun ist, wenn eins sicher ist, die Tatsache unbestreitbar, daß Erhard Leni vom ersten Urlaub – etwa im Mai 1939 –
an regelrecht anbetete; es gibt hand- und standfeste Zeugen dafür: besonders Lotte Hoyser, die offen zugibt, »Erhard wäre
bestimmt besser gewesen, als was dann später kam, jedenfalls, was 1941 kam. Vielleicht nicht besser als das, was 1943 kam.«
Sie hat nach eigenem Geständnis mehrmals versucht, Leni und Erhard in ihre Wohnung zu lokken, sie dort allein zu lassen, »damit
es verflucht noch mal endlich klappte. Verdammt, der Junge war zweiundzwanzig, gesund, ungemein liebenswürdig. Leni war ein
wenig mehr als siebzehn, und sie war – das sag ich Ihnen ganz offen –, sie war reif für die Liebe, sie war eine Frau, eine
großartige Frau, schon damals, aber Sie können sich von der Schüchternheit dieses Erhard keine Vorstellung machen.«
Hier muß, damit nicht wieder oder schon wieder Mißverständnisse entstehen, Lotte Hoyser charakterisiert werden. Jahrgang 13,
1,64 m groß, Gewicht 60 kg, ergraute Braunhaarige, trocken wie Pulver, dialektisch veranlagt, wenn auch nicht geschult, kann
man sie als eine Person von bemerkenswerter Offenheit bezeichnen, offener |93| noch als Margret. Da sie in der Erhard-Zeit ziemlich eng mit dem Gruyten zusammenlebte, erscheint sie als weit zuverlässigere
Zeugin als die van Doorn, die in allem, was Leni betrifft, zur Ikonolatrie neigt. Lotte, auf ihr umstrittenes Verhältnis zum
alten Gruyten angesprochen, sprach auch darüber offen: »Nun, es hätte schon damals was werden können mit uns beiden, das geb
ich zu, er hätte schon werden können, was er 45 wurde; ich mißbilligte fast alles, was er tat, aber verstand es, wenn Sie
wissen, was ich meine. Seine Frau war zu ängstlich, auch verängstigt durch diesen Rüstungskram, der ihr einfach Schrecken
einflößte und sie lähmte; wäre sie ne aktive und weniger verträumte Frau gewesen, sie hätte ihren Sohn irgendwo in Spanien
oder was weiß ich in einem Kloster versteckt oder meinetwegen in diesem Lande der Fenier, wo sie mal hätte hinfahren und sich
alles ansehen können, und natürlich hätte man meinen Mann und diesen Erhard ebenfalls der deutschen Geschichte entziehen können.
Damit kein Mißverständnis entsteht: Helene Gruyten war nicht nur nett, sie war gut und klug, aber sie war, wenn Sie wissen,
was ich meine, der Geschichte nicht gewachsen, nicht gewachsen – weder der Politik, noch dem Geschäft, noch dieser fürchterlichen
Selbstzerstörung, der dieser Junge da bewußt entgegenging. Es stimmt schon, was andere Leute Ihnen gesagt haben (Margrets
Name wurde nicht verraten. Der Verf.). Er hatte das ganze Abendland gefressen – und was hatte er nun in der Hand? Nen ganz
kleinen Haufen Scheiße, wenn Sie mich fragen, und er war konfrontiert mit diesem unbeschreiblichen Stöz. Zuviel Bamberger
Reiter drin und zuwenig Bauernkrieg. Ich habe schon als vierzehnjähriges Blag in der Volkshochschule 1927 nen Kurs über die
sozialpolitischen Hintergründe des Bauernkrieges gehört und tüchtig mitgeschrieben – und ich weiß natürlich, daß der Bamberger
Reiter nichts mit den Bauernkriegen zu tun |94| hat –, aber bitte, schneiden Sie dem mal seine Locken weg und rasieren Sie ihn – was kommt raus, was bleibt übrig: ein ziemlich
billiger und kitschiger Heiliger Joseph. Also: zuviel Bamberger Reiter in dem Jungen und zuviel chymische Rose in der Mutter
– sie hat mir das mal zu lesen gegeben, und es war wirklich schön, sie war ne großartige Frau, kein Zweifel, und wahrscheinlich
hätte sie nur ein paar Hormonspritzen gebraucht;
Weitere Kostenlose Bücher