Gruppenbild mit Dame: Roman (German Edition)
Deutschen Wehrmacht gerettet hat,
indem er mich zu seinem persönlichen Referenten machte, ich habe mich ja, als es ihm dann drekkig ging, wenigstens revanchieren
können«, zögerte noch eine Weile, bevor er Auskunft über die mysteriöse Heinrich-Erhard-Geschichte gab. »Da Ihnen so viel
daran zu liegen scheint, will ich es Ihnen verraten. Frau Hoyser hat nicht die gesamten Akten gekannt, auch nicht das gesamte
Problem. Sie hat lediglich die Akten der Gerichtsverhandlung bekommen, und auch die nur teilweise, und den Bericht des Leutnants
vom Erschießungskommando. In Wirklichkeit war die Sache so kompliziert, daß ich Mühe haben werde, sie exakt zu rekonstruieren.
Nun, Gruytens Sohn weigerte sich, von seinem Vater protegiert zu werden, Gruyten aber protegierte ihn gegen seine Einwilligung |97| und sorgte dafür – das war eine Kleinigkeit für ihn –, daß er und sein Vetter zunächst in eine Zahlmeisterei nach Lübeck versetzt
wurden, etwa zwei Tage nach der Besetzung Dänemarks. Nun hatte er – ich meine den alten Herrn Gruyten – nicht mit der Hartnäckigkeit
seines Sohnes gerechnet, der zwar gemeinsam mit seinem Vetter nach Lübeck fuhr, von dort aber, als er sah, wohin er geraten
war, sofort wieder nach Dänemark zurückkehrte, ohne Marschbefehl, ohne Versetzung – das war, wohlwollend interpretiert, Entfernung
von der Truppe, scharf interpretiert, Fahnenflucht; das hätte man noch abbiegen können; was man nicht abbiegen konnte: die
beiden Jungen versuchten, einem Dänen eine Panzerabwehrkanone zu verkaufen, und obwohl der Däne auf den Kauf nicht einging
– es wäre ja auch Selbstmord und völlig sinnlos gewesen –, das war ein Vergehen, da half keine Protektion mehr – nichts mehr
half, und es kam, wie es kommen mußte. Ich will aufrichtig zu Ihnen sein und Ihnen gestehen, daß ich als Gruytens persönlicher
Referent, obwohl wir damals in Dänemark große Projekte hatten und mit fast der gesamten Generalität bekannt waren, Schwierigkeiten
hatte, an die Akten zu kommen, und als ich sie gelesen hatte, habe ich sie – nun sagen wir – in gereinigter, interpolierter
oder – wenn Sie wollen – redigierter Form an Frau Hoyser, die Gruytens Sekretärin war, weitergegeben; es stand da nämlich
eine Menge drin von ›schmutzigen Geschäften‹ – und das wollte ich ihm nicht antun.«
Lotte H., die nur mit einem schmerzlichen Seufzen daran denkt, ihre hübsche kleine Wohnung mit Dachgarten im Stadtzentrum
aufzugeben, konnte nicht ohne Seufzen und mit immer neuen Zigaretten, immer wieder raschem Streicheln über ihr glattes, kurzgeschnittenes
graues Haar und ständigem Nippen an ihrer Kaffeetasse »von dieser |98| Sache« sprechen. »Ja. Ja. Tot sind sie, und daran ist nicht zu zweifeln, ob wegen Fahnenflucht oder weil sie versucht haben,
diese Kanone zu verscheuern – sie sind tot, und ich weiß nicht, ob sie das nun wirklich gewollt haben. Ich habe immer den
Eindruck gehabt, es sei doch ziemlich viel Literatur dabei gewesen, und ich könnte mir denken, daß sie ziemlich erstaunt und
erschrocken da an der Mauer standen und der Befehl ›Legt an‹ gegeben wurde. Immerhin hatte der Erhard doch die Leni, und Heinrich,
nun der hätte jede haben können. Das kommt mir ziemlich deutsch vor, was die beiden Jungens da gemacht haben, und genau da,
in Dänemark, wo damals unsere ganz großen Projekte anliefen. Na, gut. Nennen wirs meinetwegen Symbolllik, mit drei l, bitte.
Bei meinem Mann, der ein paar Tage später da bei Amiens fallen gelassen wurde, wars das nicht; der hätte gern gelebt, nicht
nur symbolisch, und er wäre auch nicht gern symbolisch gestorben, der hatte Angst, nichts weiter, es steckte viel Gutes in
ihm, aber das haben sie in dem Konvikt kaputtgemacht, wo er bis zu seinem sechzehnten Jahr war, um Priester zu werden, bis
er endlich einsah, daß das alles Stöz ist, nur wars zu spät. Und er behielt diesen schlimmen Komplex, kein Abitur zu haben
– das hatten sie ihm beigebracht, wir lernten uns dann bei der Freien Jugend kennen, mit ›Brüder zur Sonne, zur Freiheit‹
und so, und sogar die letzte Strophe kannten wir – ›Brüder ergreift die Gewehre, auf zur entscheidenden Schlacht. Dem Kommunismus
die Ehre, ihm sei in Zukunft die Macht‹ – nur hat man uns natürlich nicht beigebracht, daß der Kommunismus von 1897 ein anderer
war als der von 27/28 –, und mein Wilhelm, das war keiner, der je ein Gewehr ergriffen
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