Grusel Box: Drei Mystery-Thriller (German Edition)
konnte er keinen der Verdienste für sich verbuchen. Sie war diejenige gewesen, die die schweren Entscheidungen getroffen, die Opfer gebracht und das Getuschel ertragen hatte. Auch wenn die Belohnung mit dem Himmelreich groß war, fand sie, dass sie sich noch etwas mehr verdient hatte.
Vielleicht sollte Gott auf die Knie gehen und sie um Verzeihung bitten.
Sie lächelte bei dieser Vorstellung, auch wenn sie kein klares Bild davon hatte, wie Gott aussehen würde. Sie erinnerte sich an diese Nacht des schweißtreibenden Genusses, aber sein Fleisch war feucht gewesen und kalt wie Lehm. Sie hatte keinen Blick auf sein Gesicht erhaschen können, aber sie hatte seinen Mund glitschig an ihrem Hals gespürt, ihrer Schulter, ihrer Brust. Sie schauderte in einer Mischung aus Genuss und Abscheu.
Jeder kannte den Spruch »Auge um Auge« aus dem Alten Testament. Aber nur wenige kannten den Teil, der gleich danach kam, Mama Bets Lieblingsvers: »Beule um Beule, Brand um Brand.«
Man bekam das, was einem zustand, genau das, was man verdiente. Das war das Beste an Gott. Er war gerecht. Was man in der Welt verteilte, gab er einem zurück, wieder und wieder, für alle Ewigkeit.
Und ihr Herz füllte sich mit Genugtuung, als sie daran dachte, welche Rolle sie dabei spielte, welche Rolle Archer spielte. Sie erledigten eine heilige Aufgabe. Nicht so etwas Stinknormales wie die Erfüllung einer Prophezeiung, sondern sie lenkten Menschen auf den wahren Weg. Jeder Irre, der mit einem Messer kleine Mädchen oder Jungen zerstückelte, behauptete, einen direkten Draht zu Gott zu haben. Aber Archer war die große Nummer, der zweite Sohn, der leibgewordene Gott.
Sie blieb an der Türschwelle stehen. Archer stand mit gesenktem Kopf und geschlossenen Augen. Die Kerzen warfen goldenes Licht auf sein friedliches Gesicht und auf dem dunklen Braun der Holzwände tummelten sich Schatten. Bei der Schönheit des Anblicks traten ihr Tränen in die Augen. Sie konnte ihn aufgeben.
Siehst du, Gott, wie stark ich bin? Ich weiß, dass du ihn zu dir nehmen musst, das ist der Wille und die Botschaft. Aber ich hoffe, du kannst dir vorstellen, wie sehr mich das schmerzt. Wenn ich nicht wüsste, dass der Stein bald für immer davongerollt wird, würde ich mich Archer zu Füßen werfen und verhindern, dass er es zu Ende bringt.
Dann wurde Mama Bet klar, dass sie nicht völlig ehrlich zu Gott gewesen war. Sie freute sich eigentlich auf die kommende Reinigung. Klar, die meisten der alten Schachteln, die über ihre unerwartete Schwangerschaft getuschelt hatten, waren bereits seit langem tot und lagen unter der kalten Erde und dem feuchten Gras des Friedhofs. Aber sie hatte das Gefühl, dass diese lange Verstorbenen noch nicht in Sicherheit waren. Es kam ihnen noch eine Rolle in Archers Plan zu. Archer würde sie mit seinen Krallen packen, so oder so.
Dein Wille geschehe. Amen , fügte sie als umfassende Entschuldigung gegenüber Gott hinzu. Nur für den Fall. Er war einer von denen, die einem etwas nachtrugen. Er hatte ein langes Gedächtnis, so viel stand fest. Die ganze Geschichte des Menschengeschlechts war eine ewige Tortur des Leidens.
Sie öffnete die Tür und schlüpfte in den Altarbereich der Kirche. Das Gemurmel verstummte und hob dann erneut an, als den Gemeindemitgliedern klar wurde, dass Archer noch nicht herauskommen würde. Sie blickte auf den dunklen Fleck auf den Bodenbrettern des Altars und sah, dass er größer und deutlicher geworden war, dass sich der Todesengel fast schon ausgebildet hatte. Nur noch ein bisschen Blut und dann würde er vollendet sein. Mama Bet hob ihr Kleid, damit der Saum nicht den Boden berührte, dann hob sie stolz das Kinn und ging über das Podium, um ihren Platz in der ersten Bankreihe einzunehmen.
Fast dreißig Gläubige waren versammelt. Die an den Wänden angebrachten Kerzen warfen unbeständige Schatten auf ihre Gesichter. Mama Bet stellte befriedigt fest, dass die Abshers in der zweiten Bankreihe Platz genommen hatten. Sonny fühlte sich sichtlich unwohl in seinem Button-Down-Hemd mit der Fliege. Becca Faye saß neben ihm, der Ausschnitt ihres Kleids bot die Säulen ihres Fleisches dar. Zumindest trug das liederliche Flittchen einen Büstenhalter, auch wenn es eines dieser Push-up-Dinger war, die eine Frau weiblicher aussehen ließen, als angemessen war.
Becca Faye verschwendete ihre Zeit. Archer bedurfte solcher Gaben nicht, und Mama Bet würde sowieso nicht zulassen, dass er diese widerliche Frucht kostete,
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