Grusel Box: Drei Mystery-Thriller (German Edition)
streckten.
»Ich habe es versucht«, sagte Roby.
Jacobs Mund hatte sich geöffnet, als sich die Haut im Tod zusammenzog. Barnaby war noch nicht dazu gekommen, den Mund der Leiche von innen zusammenzunähen. Roby war erleichtert, dass die Zahnprothese an ihrem Platz war. So wirkte Jacob irgendwie weniger tot.
Was ihn beunruhigte, war, dass er sich nie sicher sein konnte, ob die tote Person wirklich tot war. Oder ob sie ein Geist war.
Eines Tages würde er Barnaby danach fragen müssen. Oder den alten Mann an der stillgelegten Tankstelle am Ende der Welt.
Als ob der alte Mann ihm irgendetwas sagen würde.
Aber vielleicht würde Jacob ihm etwas sagen, so wie letzte Nacht.
»Ich habe sie den Kuchen essen lassen«, sagte Roby. »Sie haben nie so etwas Himmlisches gegessen.«
Jacob zuckte, vielleicht hob sich einer seiner Mundwinkel als Ausdruck der Dankbarkeit.
»Er war gut.«
Keine Antwort außer dem Rascheln von Stoff.
»Sie hätten Alfred sehen sollen. Er war wirklich ein schwieriger Fall. Ich musste ein bisschen resolut mit ihm werden.«
Jacob sagte, dass Alfred immer ein wenig starrköpfig gewesen und in dieser Hinsicht vielleicht seinem Dad zu ähnlich sei. Oder vielleicht handelte es sich bei dem, was Roby hörte, auch nur um das gedämpfte Geräusch eines Autos draußen auf der Straße.
»Und Sarah. Wirklich ein gutes Mädchen. Sie und Buck werden Ihnen tolle Enkelkinder schenken. Ich weiß, ich weiß, ein wenig zu spät, aber immerhin können Sie beruhigt sein, dass Ihre Blutlinie weitergeführt wird.«
Jacob sagte, seiner Meinung nach gebe es schon genug Ridgehorns auf der Welt.
»Anna Beth ist mein Liebling. Nein, werden Sie nicht böse, ich meine es nicht auf diese Weise, ich denke nur, dass sie Mumm hat und ihren Weg gehen wird.«
Jacob antwortete, es gezieme sich zwar für einen Vater nicht, so etwas zu sagen, aber da es nun nicht mehr groß von Bedeutung sei, was er dachte, könne er zugeben, dass Anna Beth auch sein Liebling gewesen sei.
»Marlene«, sagte Roby. »Nun, mit Marlene liegt die Sache ganz anders.«
Jacob wartete still mit im Schoß gefalteten Händen, so geduldig wie ein Heiliger.
»Und sie ... sie hat nichts vom Kuchen gegessen.«
Weitere dreißig Sekunden der Stille vergingen, in denen das Ticken der Uhr fehlende Herzschläge ersetzte. Obwohl seine Augen zugeklebt waren, sah Jacob traurig aus.
»Es tut mir leid. Aber ich habe noch nicht aufgegeben. Ich muss nur mit Johnny reden, das ist alles. Und mit Barnaby. Wir werden das schon hinkriegen.«
Und das, nachdem ich Ihnen alle Familiengeheimnisse erzählt habe, sagte Jacob.
»Ich weiß, ich weiß. Machen Sie es nicht noch schlimmer für mich. Ich fühl mich schon schlecht genug. Nicht nur, weil ich Sie enttäuscht habe. Auch weil ich mich …«
Roby schaute zur Uhr an der Wand, wütend auf sich selbst, weil er Mitleid von einer Leiche erwartete. Die Verstorbenen verdienten all unser Mitleid. Darum ging es doch hier. Die Ehrung der lieben Verstorbenen.
Jacob sagte, es sei schwierig, sich geehrt zu fühlen, wenn sich das eigene Fleisch und Blut gegen einen wendete.
»Ich glaube nicht, dass sie es aus Boshaftigkeit getan hat.«, sagte Roby. »Und vielleicht steht es mir nicht zu, so etwas zu sagen, aber Ihre Familie zeigt das schlimmste Trauerverhalten, das mir jemals untergekommen ist.«
Jacob antwortete, dass jede Familie anders sei. Und dass man sie nicht verstehen könne, solange man hinein gehöre. Roby wusste nicht, ob er die Familie oder den Sarg meinte.
Die Familie, sagte Jacob. Obwohl starr in einem Sarg zu liegen auch nichts für die Ewigkeit sei. Das sei für die, die zu unglücklich oder zu unbeliebt waren, ihren Kuchen aufgegessen zu bekommen. Nichts sei trauriger, als den Übergang mit einem Beutel voller schlecht gewordener gefüllter Eier, schimmeliger Torte und einem ganzen Kuchen machen zu müssen. So könne man nicht das Urteil empfangen.
»Sie müssen es mir nicht beschreiben«, sagte Roby.
Sie müssen ihn selbst aufsuchen, sagte Jacob.
Roby presste seine Zunge gegen seine Zähne. Er wollte nicht dorthin fahren, nicht heute Nacht. Er war sich nicht sicher, ob er den Ort noch einmal finden würde. Oder vielleicht hatte er Angst davor, dass er ihn fände.
Denn er hatte ihn immer gefunden, wenn er ihn suchte. Oder aber der Ort hatte Roby gefunden.
Und jedes Mal, egal ob Mitternacht oder Sonnenaufgang, saß der alte Mann da und wartete, so als ob der letzte Greyhound-Bus vor vierzig Jahren
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