Grusel Box: Drei Mystery-Thriller (German Edition)
nicht daran erinnern, ihn bei der Zeremonie gesehen zu haben. Natürlich hatten sie und David vom Jim Beam getrunken, bevor sie die Bühne betraten. Plötzlich fühlte sie sich schuldig, so als ob sein Starren sie durchdrang und er in sie hineinblicken konnte. Dann war sie wütend auf sich selbst, weil sie sich schuldig fühlte. Wen kümmerte, was so ein langhaariger Herumtreiber dachte?
Seine Augen waren braun, voller Leben, aber doch kühl. Ihr wurde schwindelig, als sie in sie hineinblickte.
»Uh ... Kaffee, kommt sofort.«
Sie brachte den Kaffee, aber er trank ihn nicht. »Der Körper ist ein Tempel«, sagte er. »Und Opfer sind die Währung Gottes. Denn er ist ein eifersüchtiger Gott, und er bestraft die Kinder für den Frevel ihrer Eltern.«
Was für ein Spinner , dachte sie, aber nur fünfzehn Minuten später machte sie eine Pause und saß ihm gegenüber in der Nische auf dem Rand des billigen Plastikstuhls. Er sprach sachlich und, verdammt noch mal, er wusste genau, wovon er sprach.
»Du hast genug von diesem Ort«, sagte Archer. »Du hast genug von all diesen Leuten und ihren Diskussionen darüber, ob ein Chevy besser ist als ein Ford und mit welchem Kaliber man am besten Rotwild erlegt. Du stehst kurz davor zu heiraten und eure Verbindung wird Gottes Segen erhalten und du denkst, dass damit deine Träume wahr werden und du von nun an glücklich bis an dein Lebensende sein wirst. Aber wenn du an der Oberfläche kratzt«, er beugte sich nach vorne, als er dies sagte, und ihre Gesichter waren nur mehr dreißig Zentimeter voneinander entfernt, »wirst du feststellen, dass du dich zu Tode davor fürchtest, dass das alles ist, alles, was du im Leben haben wirst.«
Sie versuchte zu protestieren und zu verbergen, dass er ihre Seele entblättert hatte wie die Schichten einer Zwiebel. Aber sie war bereits bezaubert, bereits begeistert, bereits hypnotisiert vom Rhythmus seines Sprechens. Und als Sue Ann Linda aufforderte, die Arbeit wieder aufzunehmen, hatte sie eingewilligt, Archer zum Abendessen zu treffen.
Sie musste David anlügen, aber damals war das Sündigen viel leichter. Sie aß gemeinsam mit Archer im Chick’n Shack über der Staatsgrenze in Tennessee. Sie leistete keinen Widerstand, als Archer mit ihr nach dem Abendessen hinter die alte rote Kirche fahren wollte. Sie fuhren in seinem VW-Bus durch die Stadt zurück und sie hielt den Kopf nach unten gebeugt in der Hoffnung, dass sie niemand sehen würde. Gleichzeitig dachte sie, dass es nun soweit war, dass sie es machen würde, David betrügen würde, egal, was die Konsequenzen wären. Es war an der Zeit, endlich damit anzufangen, Risiken einzugehen.
Aber Archer wollte nur reden. Sie dachte zuerst, dass das nur eine weitere Anmachmasche wäre. Er war nicht wirklich ihr Typ. Sie war sich nicht länger sicher, was genau ihr Typ war, obwohl sie immer gedacht hatte, dass David es war. Und so saßen sie im Dunkeln und Archer sprach, und obwohl sie vor Lust Schmerzen verspürte und das Feuer ihres Fleisches sie in das Höllenfeuer führen würde, konnte sie irgendwie nicht den Mut aufbringen, ihn zu berühren.
Archer sprach von seltsamen Dingen. Er ließ sie die Sterne angucken. Er deutete auf die Kirchenglocke und den Hartriegel und erzählte die Geschichte vom gehängten Prediger. Linda dachte zuerst, dass er versuchte, ihr Angst einzujagen, damit sie näher zu ihm rutschen würde und er seinen Arm um sie legen konnte. Aber er erzählte die Geschichte falsch.
In Archers Version war der gehängte Prediger das Opfer einer Hetzjagd gewesen. »Es war alles eine von Jesus gesteuerte Verschwörung«, sagte er. Seine Augen schienen Reste verstreuten Lichts einzufangen und glänzten wie Öl. »Jesus verschaffte sich Zugang zu den Köpfen all dieser Menschen und brachte sie dazu, meinen Ururgroßvater zu töten. Und Jesus musste für seine eigenen Sünden nicht bezahlen. Weil Gott Jesus mehr liebte, als er die ganze Welt liebt.«
Linda wusste, dass sie schleunigst aus dem VW-Bus fliehen sollte, dass er verrückt war, aber er sprach so vernünftig und veränderte seine Stimmhöhe nicht. Deshalb hörte sie sich auch den Rest an. Wie sehr Jesus die McFalls hasste, weil sie das heilige Kind gebären würden. Und dieses Kind würde sich erheben und Jesus als den gefallenen Engel entlarven, der er war. Als es Morgen wurde und sich die ersten schüchternen Sonnenstrahlen über die Hügel wagten, war sie mehr als verliebt, sie war treu ergeben.
Sie verbrachte den
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