Grusel Box: Drei Mystery-Thriller (German Edition)
auf.
Archer rannte die Kirchentreppe hinunter und stand über Littlefields hingestrecktem Körper. Linda folgte Archer langsam, auf ein Zeichen von ihm wartend. Der Sheriff hatte in Richtung des Baums geblickt. Sie fragte sich, was er gesehen haben konnte, das ihm einen so großen Schreck eingejagt hatte. Der Friedhof war ein Ort des Friedens und der Schönheit, kein Ort der Furcht. Vielleicht war der Sheriff ohne Glauben, schwach, unwürdig.
Archer kniete auf dem Boden neben dem Sheriff und erhob sein Gesicht in den Himmel.
»Oh Vater«, intonierte er in der Prediger-Stimme, die Schauder der Verzückung ihr Rückgrat emporsteigen ließ. »Sieh, wie ich diesen Sünder in meine Kirche aufnehme. Er hat unserem Abendmahl beigewohnt und von der Hostie gekostet. Oh Vater, sieh, wie er mit uns vereint gegen die Ungerechtigkeit und das Böse, das sich als Erlösung ausgibt, kämpft, damit er für immer im Licht wandeln kann. Amen.«
»Amen«, wiederholte Linda unwillkürlich. Sie spürte ein Stück der Hostie zwischen den Zähnen. Sie löste es mit ihrer Zunge, dann schluckte sie das weiche Fleisch, das Archer gesegnet und dargereicht hatte, hinunter. Das Gefühl des Wohlseins breitete sich in ihrer Brust aus, ließ ihren Kopf anschwellen und sorgte dafür, dass sie sich mit Liebe schwebend fühlte.
Und dann sah sie.
Der gehängte Prediger rollte seine Augen in ihre Richtung und betrachtete sie genüsslich. Dann wandte die Erscheinung ihr Gesicht wieder Archer zu.
Die schwarzen Lippen des gehängten Predigers öffneten sich und unwirkliche Dinge zuckten in seinem Mund. »Mehr«, sagte er und bewegte die Lippen noch einmal, aber beim zweiten Mal machte er kein Geräusch.
Eine Vision , erklärte Linda sich selbst. Eine waschechte VISION. Genauso wie Archer es immer versprochen hat.
Die Baptisten hatten unermüdlich von Moses und dem brennenden Busch erzählt, davon, wie dies und das den von Gott Auserwählten offenbart wurde, aber niemand in der Ersten Baptistengemeinde hatte selbst jemals eine Vision gehabt. Gut, Boonie Houck hatte es ein paar Mal behauptet, aber seine Offenbarungen schienen niemals religiöser Natur gewesen zu sein, nicht zuletzt, weil er sie in der Regel nach einer Woche Alkoholentzug hatte. Aber das hier ... das ...
Der gehängte Prediger baumelte in seiner vollen Pracht vor ihr. Aber sogar jetzt flimmerte er und war dabei, sich in sein heiliges Reich jenseits dieser Welt zurückzuziehen. Linda fühlte, wie ihr Herzschlag durch den drohenden Verlust aussetzte.
Archer presste seine Hände aneinander und bewegte sich vorsichtig auf den Knien in Richtung des Hartriegels. »Geh nicht, oh, süßer Prophet«, bettelte er mit beinahe kindlicher Stimme.
Der gehängte Prediger formte mit seinen Lippen ein letztes Mal das Wort mehr , während sein totes Gesicht vor Wut verzerrt war. Seine Arme fielen schlaff neben seinem Körper herunter und er wurde unsichtbar.
Archer stand auf und rannte zu der Stelle unter dem Baum. Er streckte die Arme aus und umarmte die leere Luft. »Komm zurück«, sagte er sanft. Er trug einen Ausdruck der Verlorenheit im Gesicht.
Linda hatte Archer niemals zuvor in irgendeiner Weise verletzlich gesehen. Ihr Herz schlug vor Freude schneller. Sie konnte ihm von Nutzen sein. Er hatte Bedürfnisse. Er brauchte sie .
Archer hatte ihr so viel gegeben, hatte ihre Augen für die Torheiten des Christentums geöffnet, hatte ihre Seele gerettet. Das Geringste, das sie tun konnte, war, ihn nun in seiner Zeit der Not zu trösten. Zumindest hatte sie etwas anzubieten. Sie berührte seine Schulter. Sein Mantel war so heiß, dass sie sich fast die Finger verbrannte.
Er drehte sich um. Linda schreckte zurück und hielt sich vor Schreck die Hand vor den Mund.
Archers Gesicht war verzerrt, so als ob die Knochen in seinem Schädel zerbrochen waren und ihre Teile nun die Haut durchstoßen wollten. Seine Stirn wurde flacher und verlängerte sich, der untere Teil seines Gesichts floss zusammen, die Nase verbreiterte sich über dem Mund. Seine Augen weiteten sich und ein glühender goldener Ring zog sich um seine schwarzen, murmelgroßen Pupillen. Sie funkelten, fingen das Mondlicht ein und verwandelten es in grüne und gelbe Diamanten.
Ein tiefes, tierisches Knurren kam aus seiner Kehle und spitze Ohren erhoben sich auf seinem Kopf. Schnurrhaare sprossen wie silberner Draht aus den Seiten neben seinem Mund. Die Augen wurden schmaler, wie die einer Katze, und Archer ließ sich auf seine Hände
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