Guardian Angelinos (03) – Sekunden der Angst
weiter vor, an zwei Reihen Kleidern und Schuhen vorbei. Bei näherem Hinsehen dämmerte es ihr. »Das ist Mercedes’ Kellerwohnung«, flüsterte sie.
Er stieß leicht gegen das Gelenk einer Falttür aus Holzlamellen und spähte durch den schmalen Spalt. »Jepp.«
Das Geräusch von Schritten ließ sie beide zurückweichen. Nachdem Lang die Tür mit einer flinken Handbewegung geistesgegenwärtig wieder in ihre ursprüngliche Position gebracht hatte, hörten sie durch die Lamellen den leisen Tastenton eines Handys. Jemand wählte eine Nummer.
»Jetzt wird sie vermisst«, sagte Mercedes leise. »Ich muss wissen, was ich jetzt tun soll.«
Mit wem redete sie? Vivi blickte zu Lang hoch, der kaum merklich mit dem Kopf schüttelte. Keiner von beiden rührte sich für eine lange Weile.
»Sie macht genau, was sie tun soll, und das wollen wir doch, oder? Es ist sicher das, was das FBI will. Fragst du dich nicht, warum?«
Wer sollte sich fragen, warum? Mercedes entfernte sich ein paar Schritte, und Vivi hielt die Luft an und betete, dass die Frau im Zimmer blieb, damit sie sie weiter belauschen konnten. Wenn sie mit Cara sprach, würde sie vielleicht deren Aufenthaltsort preisgeben. Wenn sie nicht mit Cara sprach, hätte Vivi gern gewusst, wer am anderen Ende der Leitung war.
»Das bezweifle ich.« Die Worte klangen ironisch, und darauf folgte ein Lachen, ein Laut, der so untypisch für die steife Haushälterin war, dass Vivi überrascht blinzelte. Lang reagierte ähnlich und riss die Augen auf. »Ich verspreche dir, niemand wird diesen Schlüssel finden.«
Sie hörten das Zuschnappen des Handys und wichen beide zurück. Vivis Herz begann zu rasen, als sie die Möglichkeit erwog, dass Mercedes plötzlich Lust bekommen könnte, sich umzuziehen. Doch die Frau verließ den Raum, ihre flachen, praktischen Absätze klapperten über den Hartholzboden, und wenige Sekunden später knallte die Tür ihrer Wohnung zu.
»Gehen wir«, sagte Vivi und machte Anstalten, aus dem Schrank zu steigen.
»Was machst du denn da?«, fragte Lang in einem schroffen Flüsterton.
»Diese Frau weiß, wo der Schlüssel ist, ich gehe …«
»Genau! Du willst doch wohl nicht deine Karten aufdecken, oder?«
Ärgerlicherweise hatte er recht. »Was sollen wir sonst tun?«
»Wir lassen uns nicht anmerken, dass wir irgendwas hiervon wissen«, sagte er. »Ich kümmere mich um das FBI, blase die Suche ab, indem ich behaupte, du hättest es über das Grundstück zurück ins Haus geschafft. Zudem stelle ich ihr rund um die Uhr einen Agenten zur Seite.«
»Einem Agenten wird sie gar nichts sagen«, meinte Vivi, während sie auf Zehenspitzen durch die Geheimtür zurück in den Tunnel schlichen. »Vielleicht komme ich ein bisschen näher an sie ran.«
»Das bezweifle ich. Sie wird sich denken können, worauf du hinauswillst.«
»Wir brauchen jemanden, dem sie sich anvertrauen kann, jemanden, von dem sie nicht weiß, dass er ihr Informationen aus der Nase ziehen will. Jemand, mit dem sie nicht rechnet.« Vivi blieb abrupt stehen, der Hauch eines Lächelns huschte über ihr Gesicht. »Ich habe den idealen Guardian Angelino für den Job. Wenn er fertig ist, wird diese »una tedesca« nicht wissen, wie ihr geschehen ist.«
»Du willst doch nicht etwa Onkel Nino mit ins Spiel bringen. Vergiss es.«
»Und was sollen wir sonst mit dieser neuen Entdeckung machen?«
»Wissen ist Macht. Wir machen uns diesen kleinen Leckerbissen zum Vorteil.«
Es war wohl kaum ein kleiner Leckerbissen. »Aber Lang, Nino würde ihre Küche komplett infiltrieren und alles finden …«
»Nein!« Er verlangsamte seine Schritte, von seiner Heftigkeit vermutlich genauso überrascht wie sie. »Nein«, wiederholte er, diesmal sanfter. »Nicht nach dem, was heute passiert ist. Die Vorstellung, dass dir etwas zugestoßen sein könnte, hat mich fast umgebracht.«
Ach ja?
Selbst im Dämmerlicht sah sie, wie er betreten die Augen schloss, als wollte er zurücknehmen, was er gerade gesagt hatte. Aber gesagt war gesagt.
Ein fremdes, aufregendes Gefühl durchflutete sie, so lustvoll, dass sie den Streit wegen Nino fallen ließ. Sie bedeutete Lang etwas. Sie hatte es gewusst.
Wissen ist Macht, hatte er vorhin gesagt. Das musste stimmen, denn nach diesem kleinen Leckerbissen fühlte sie sich … mächtig gut.
10
Obschon der trennende Flur zwischen ihnen lag, konnte Colt sie in der Stille des Hauses jammern hören. Ein kehliges, klagendes Wimmern, das er sofort als ein Betteln nach seiner
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