Guido Guerrieri 01 - Reise in die Nacht
klingelte.
Ja, ich war Guido. Klar erinnerte ich mich an sie. Melissa. Ja, bei dem Abendessen bei Renato. Es war ein sehr angenehmer Abend gewesen. Lügner. Nein, es machte mir nichts aus, dass sie sich meine Handynummer besorgt hatte, im Gegenteil. Ob ich wüsste, wer die Acid Steel waren? Nein, tat mir Leid. Also, die besagten Acid Steel gaben heute Abend ein Konzert in Bari, jedenfalls in der Nähe von Bari. Ob ich Lust hatte, mit ihr dorthin zu gehen? Ja, aber was war mit den Eintrittskarten? Ah, sie hatte zwei davon, sogar Freikarten. Na gut, dann sehen wir uns heute Abend, sag mir, wo du wohnst, ich komm dich abholen. Du willst mich abholen? Okay. Ach so, du kennst meine Adresse schon. Tja, dann bis heute Abend, um acht, ja. Nein, keine Sorge, ich ziehe nicht meine Anwaltsklamotten an. Ciao. Ciao.
Ich erinnerte mich sehr gut an Melissa. Vor ungefähr zehn Tagen hatte mein Freund Renato, ein Ex-Alternativer, der jetzt Werbeplakate druckte, seinen vierzigsten Geburtstag gefeiert – eine Riesenfete. Melissa war mit einem kleinwüchsigen Buchhalter in schwarzer Hose, schwarzem Stretch-T-Shirt, schwarzer Armani-Jacke und langem, schwarzem Haarkranz um die Glatze erschienen.
Sie selbst war auch nicht zu übersehen gewesen. Asiatische Gesichtszüge, eins fünfundsiebzig, atemberaubende Aus- und Einbuchtungen. Zu allem Überfluss dann noch ein intelligenter Blick, wenigstens dem Anschein nach.
Der Buchhalter war überzeugt, an diesem Abend die Trumpfkarte gezogen zu haben, aber er wurde herb enttäuscht. Schon kurz nach ihrer Ankunft hatte Melissa mit fast allen Männern der Party Bekanntschaft geschlossen.
Sie hatte auch mit mir geplaudert, nicht mehr und nicht weniger als mit allen andern, wie mir schien. Dass ich boxte, fand sie interessant. Sie selbst studierte Biologie und wollte sich später in Frankreich spezialisieren, sie sagte, sie fände mich sehr sympathisch, ich sehe überhaupt nicht wie ein Anwalt aus und wir würden uns bestimmt wieder sehen.
Dann war sie zum nächsten weitergeflattert.
Früher – noch vor einem Jahr – wäre ich ihr hinterhergestürzt und hätte versucht, sie aus dem Dschungel übelgesinnter Mannsbilder zu retten, die das Fest bevölkerten. Ich hätte irgendetwas erfunden, ihr meine Handynummer gegeben und darauf gedrängt, sie so bald wie möglich wieder zu sehen. Sollte er doch platzen vor Wut, ihr krähenschwarzer Buchhalter, der nebenbei bemerkt einen Cocktail nach dem andern in sich hineinschüttete und so oder so bald an Leberzirrhose verenden würde.
Aber an diesem Abend tat ich nichts dergleichen.
Nach der Party ging ich nach Hause und legte mich schlafen. Als ich nach den üblichen vier Stunden erwachte, war Melissa bereits Lichtjahre entfernt, so gut wie ausgelöscht.
Jetzt, zehn Tage später, rief sie mich auf meinem Handy an und lud mich zu einem Konzert der Acid Steel ein, die in Bari, jedenfalls in der Nähe von Bari, auftraten. Einfach so.
Ich fühlte mich seltsam. Einen Moment lang kämpfte ich mit dem Impuls, zurückzurufen und abzusagen mit der Ausrede, ich hätte schon etwas anderes vor. Tut mir Leid, das war mir ganz entgangen, vielleicht ein andermal.
Dann sagte ich aber laut: »Junge, jetzt wirst du bald echt verrückt. Echt verrückt. Hör endlich auf mit dem Quatsch und geh zu diesem Scheißkonzert. Du bist achtunddreißig und hast noch ein paar Jährchen vor dir. Willst du die alle so verbringen? Geh zu diesem Scheißkonzert und sei froh.«
Melissa kam pünktlich bei mir vorbei, wenige Minuten nach acht. Sie kam zu Fuß und war gekleidet, als wolle sie öffentlich zur Unzucht anstiften.
Sie sagte, ihr Auto sei nicht angesprungen, aber sie habe es trotzdem geschafft, ins Zentrum zu gelangen. Ob wir wohl meinen Wagen nehmen konnten? Wir konnten. Ich holte ihn aus der Garage und dann fuhren wir los in Richtung Taranto.
Das Konzert fand in einer kleinen ausgedienten Fabrikhalle statt, irgendwo in der Pampa zwischen Turi und Rutigliano. Allein hätte ich dort nie hingefunden.
Das Ambiente hatte etwas undefinierbar Kriminelles. Einige der Zuhörer hatten etwas eindeutig Kriminelles.
Glücklicherweise durfte im Innern der Halle geraucht werden.
Und zwar alles.
Es wurde in der Tat auch alles geraucht, und dazu wurde Bier getrunken. Die Luft war zum Schneiden, es stank nach Rauch, Bier, Alkoholfahnen und Achselschweiß. Niemand lachte; viele schienen an einem unheimlichen, mysteriösen Ritual teilzunehmen, von dem ich – zum Glück –
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