Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Guido Guerrieri 01 - Reise in die Nacht

Guido Guerrieri 01 - Reise in die Nacht

Titel: Guido Guerrieri 01 - Reise in die Nacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gianrico Carofiglio
Vom Netzwerk:
ein Gläschen, dann gehen wir schlafen, ich muss morgen arbeiten.« Genau das waren meine Worte: »Nur auf ein Gläschen.«
    Melissa gab mir einen Kuss auf den Mundwinkel und verharrte dort mehrere Sekunden. Sie roch nach Alkohol, Rauch und einer intensiven Essenz, die mich an irgendetwas erinnerte. Dann sagte sie, dass sie zu Hause nicht mehr viel habe und dass es besser sei, in irgendeiner Bar noch rasch ein paar Flaschen Bier zu kaufen.
    Mir war zwar nicht ganz wohl bei der Sache, aber ich hielt trotzdem vor einer Bar an, die rund um die Uhr geöffnet hat, stieg aus und kaufte zwei Flaschen Bier. Damit das Ganze nicht völlig ausartete.
    Sie wohnte in einem alten, heruntergekommenen Mietshaus in der Nähe des staatlichen Fernsehsenders RAI. Die Art von Haus, in der sechs oder sieben Ausländer in einem Zimmer wohnen, Leute mit Anspruch auf eine Sozialwohnung – von denen es kaum noch welche gibt – und Studenten von auswärts. Melissa stammte aus Minervino Murge.
    In der Eingangshalle baumelte eine nackte Glühbirne, die nichts beleuchtete. Melissa wohnte im ersten Stock, und im Treppenhaus stank es nach Katzenpisse.
    Sie öffnete die Tür und trat ein, ich folgte ihr auf den Fersen, noch bevor das Licht eingeschaltet war. Es roch nach kaltem Rauch und ungelüfteten Zimmern.
    Als sie das Licht anknipste, sah ich, dass ich in einer winzigen Diele stand, die links in ein Schlaf- und Arbeitszimmer führte. Rechts war eine verschlossene Tür, hinter der ich das Bad vermutete.
    »Wo ist die Küche?«, dachte ich in diesem Moment angestrengt. Im selben Moment nahm sie mich an der Hand und führte mich in ihr Schlaf-, Wohn- und Arbeitszimmer. Der Tür gegenüber stand ein Bett an der Wand, des Weiteren gab es einen Schreibtisch und unzählige Bücher. Bücher in Regalen, Stapel von Büchern auf dem Boden, Bücher auf dem Schreibtisch, einzeln herumliegende Bücher. Es gab auch einen alten Kassettenrecorder, einen Aschenbecher mit zwei Zigarettenkippen, ein paar leere Bierflaschen und eine fast leere J&B-Whisky-Flasche.
    Die Bücher hätten mich beruhigen sollen.
    Wenn ich zum ersten Mal in eine Wohnung komme, kontrolliere ich immer, ob es Bücher gibt, ob es wenige oder viele gibt, ob sie pedantisch geordnet sind – was nichts Gutes verheißt – oder über alle Zimmer verteilt sind – was Gutes verheißt.
    Die Bücher in Melissas kleiner Wohnung hätten in mir positive Empfindungen auslösen müssen. Taten sie aber nicht.
    »Setz dich«, meinte Melissa und deutete aufs Bett. Ich setzte mich, sie öffnete die Bierflaschen, reichte mir eine davon und trank die andere halb aus, ohne sie abzusetzen. Ich nahm der Form halber einen Schluck. Währenddessen suchte mein Gehirn fieberhaft nach einer Ausrede, um mich verdrücken zu können. Eigentlich war es ja beinahe zwei Uhr früh, ich musste am nächsten Tag arbeiten, wir hatten einen netten Abend miteinander verbracht, bestimmt würden wir uns wieder sehen, keine Sorge, ich ruf dich an, außerdem hab ich auch ein bisschen Kopfweh. Nein, es ist nichts, wirklich, bis auf den Umstand, dass du säufst und Drogen nimmst und wahrscheinlich auch noch nymphoman bist und dass mir zum Heulen ist. Doch, bestimmt, ich ruf dich an.
    Während ich noch über eine weniger pathetische Ausrede nachdachte, griff Melissa, die ihr Bier inzwischen in einem zweiten Schluck geleert hatte, unter ihren Rock und zog sich den – übrigens schwarzen – Slip aus.
    Sie wollte keine Zeit mit Präludien und anderen langweiligen Formalitäten verschwenden. Das war eindeutig.
    Und wir hielten uns in der Tat nicht mit Formalitäten auf.
    Ich blieb an diesem unwirtlichen Ort und betätigte mich bis fast zum Morgen.
    Während sie rauchend den letzten Rest Whisky trank, erzählte sie mir von ihren Problemen als Studentin, die aus einem kleinen Dorf kam und finanziell fast gar nicht von ihren Eltern unterstützt wurde. Jeden Monat die Miete bezahlen, Essen kaufen – und Getränke , dachte ich -, Zigaretten, Kleider, Handy, mal abends ausgehen. Von den Büchern ganz zu schweigen. Der ein oder andere Gelegenheitsjob – Hostess, PR – reichte fast nie aus.
    Diesen Monat beispielsweise war sie schon wieder mit der Miete im Rückstand, dabei wartete ihre Wirtin nur auf eine Gelegenheit, sie rauszuwerfen, und zu allem Überfluss bereitete sie sich gerade auf eine wichtige Prüfung vor.
    Wenn sie es nicht als Beleidigung empfand, konnte ich ihr ja etwas leihen. Nein, sie empfand es nicht als Beleidigung, aber ich

Weitere Kostenlose Bücher