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Guido Guerrieri 01 - Reise in die Nacht

Guido Guerrieri 01 - Reise in die Nacht

Titel: Guido Guerrieri 01 - Reise in die Nacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gianrico Carofiglio
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musste ihr versprechen, dass sie es mir zurückgeben durfte. Sicher, keine Sorge. Nein, fünfhunderttausend Lire habe ich nicht in bar dabei, schau, in meiner Brieftasche sind genau zweihundertzwanzigtausend, zwanzigtausend behalte ich vielleicht für mich. Mach dir keine Sorgen, zahl sie mir zurück, wenn du kannst, es hat überhaupt keine Eile. Jetzt muss ich aber wirklich gehen, weißt du, ich arbeite morgen – das heißt in Kürze.
    Sie gab mir ihre Handynummer. Ich ruf dich bestimmt an, sagte ich, während ich den Zettel in meiner Jackentasche zerknüllte und die Tür mit der Hast eines Flüchtenden öffnete.
    Der Himmel draußen war mausgrau und im Osten blau unterlaufen. Die Pfützen waren so schwarz, das sich nichts darin spiegelte.
    Ich musste an einen Film denken, den ich vor ein paar Jahren gesehen hatte: Der Geist und die Dunkelheit, eine wunderschöne Geschichte über Jäger und Löwen.
    Val Kilmer fragt Michael Douglas: »Hast du jemals dein Ziel verfehlt?«
    Antwort: »Nur im Leben.«
    Am nächsten Tag besorgte ich mir eine neue SIM-Karte und änderte meine Handynummer.

5
    D ie Tage, die auf diese Nacht folgten, waren alles andere als denkwürdig.
    Etwa eine Woche später wurde mir mitgeteilt, dass die Ermittlungen abgeschlossen waren.
    Am nächsten Tag war ich Punkt halb neun in Cervellatis Sekretariat, um mir eine Kopie der Akten zu besorgen. Ich musste einen Antrag ausfüllen, und man teilte mir mit, dass ich die Kopien in drei Tagen abholen könne, worauf ich von unguten Vorahnungen erfüllt wieder ging.
    Am Freitag begab sich meine Sekretärin zur Staatsanwaltschaft, bezahlte die Kopien, nahm die Akten in Empfang und trug sie in die Kanzlei.
    Ich brachte den ganzen Samstag und den ganzen Sonntag damit zu, die Papiere ein ums andere Mal durchzulesen.
    Ich las, rauchte und trank koffeinfreien Pulverkaffee.
    Ich las und rauchte, und das, was ich las, gefiel mir überhaupt nicht. Abdou Thiams Lage war alles andere als rosig.
    Sie war noch viel schlimmer, als nach dem Wortlaut des Haftbefehls zu erwarten gewesen war.
    Was sich da abzeichnete, war einer von jenen aussichtslosen Prozessen, die vor dem Schwurgericht meist in ein sinnloses Massaker ausarten.
    Cervellati schien Recht zu haben: Die einzige Möglichkeit der Schadensbegrenzung bestand darin, ein Schnellverfahren zu beantragen.
    Was meinen Mandanten am schwersten belastete, waren die Aussagen des Barbesitzers. Er war am Tag vor der Verhaftung Abdous von den Carabinieri vernommen worden und ein paar Tage später noch einmal vom Staatsanwalt persönlich.
    Für die Anklage: der perfekte Zeuge.
    Ich durchforstete die beiden Protokolle zigmal nach irgendwelchen Schwachpunkten, aber ich fand so gut wie keine.
    Bei dem polizeilichen Verhör handelte es sich um ein Inhaltsprotokoll im klassischen Kasernenstil der Carabinieri, bei dem die während eines Verhörs gestellten Fragen gar nicht und die Antworten nicht wortwörtlich festgehalten werden.
     
    Am 10. August 1999, um 19.30 Uhr, erschien in den Räumlichkeiten der Carabinieri-Einheit Monopoli, Einsatzkommando, vor uns – den o. g. Einheit angehörenden Offizieren Maresciallo Capo Binetti, Pasquale, Maresciallo Sciancalepore, Pasquale und Tenente Amendolagine, Francesco – Herr Renna, Antonio, geb. am 31.3.1953 in Noci (Bari), wohnhaft in Monopoli, Contrada Gorgofreddo 133 c, der, entsprechend von uns befragt, Folgendes zu Protokoll gab:
    Auf die Frage antwortet der Zeuge: Ich bin Inhaber des Gaststättenbetriebes »Bar Maracaibo« in Monopoli, Ortsteil Capitolo. Mein Lokal ist von sieben Uhr früh bis neun Uhr abends, im Sommer bis zehn Uhr abends durchgehend geöffnet. Beim Betreiben vorgenannten Gaststättenbetriebs werde ich von meiner Frau und meinen beiden Söhne unterstützt.
    Antwort des Zeugen: Ich kannte den kleinen Rubino, Francesco und vor allem seine Großeltern, die etwa dreihundert Meter von meiner Bar entfernt ein Ferienhaus besitzen. Die Großeltern verbringen seit vielen Jahren ihre Sommerferien in Capitolo. Der Großvater des Kindes verweilt des Öfteren an meiner Bar, für gewöhnlich nimmt er dabei einen Kaffee zu sich und raucht eine Zigarette.
    A.d.Z.: Ich kenne den Afrikaner, dessen Namen – Abdou Thiam – ich von den Carabinieri erfahren habe, und erkenne ihn auf dem mir vorgelegten Foto wieder. Er ist ein Straßenhändler, der gefälschte Markenartikel verkauft. Auf dem Weg zu den Stränden, an denen er seine Ware feilbietet, kommt er fast jeden Tag an meinem Lokal

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