Guido Guerrieri 01 - Reise in die Nacht
ist ideal, wenn ein Angeklagter wenig Geld hat und sich einen langen Prozess mit Vernehmungen und Kreuzverhören, Zeugenanhörungen, Sachverständigengutachten, ausführlichen Plädoyers usw. usf. nicht leisten kann.
Klar, dass die Chancen für einen Freispruch gewaltig schrumpfen, wenn sich der Angeklagte für ein Schnellverfahren entscheidet, denn es basiert ja einzig und allein auf den Ermittlungsunterlagen von Polizei und Staatsanwaltschaft, die in der Regel nicht darauf hinarbeiten, den Verdächtigen zu entlasten, sondern im Gegenteil festzunageln.
Wenn für den Angeklagten allerdings keine oder so gut wie keine Möglichkeit besteht, in einem normalen Verfahren freigesprochen zu werden, dann hat die Aussicht auf einen Strafnachlass tatsächlich etwas sehr Verlockendes.
Im Fall von Abdou Thiam jedenfalls schien ein Schnellverfahren absolut angezeigt, denn er hatte so gut wie keine Chancen auf einen Freispruch.
»Lesen Sie die Akten, Avvocato , und Sie werden einsehen, dass ein Schnellverfahren für uns alle das Beste ist«, beendete Cervellati unser Gespräch.
Draußen begann es zu regnen. Ein dichter, hässlicher Nieselregen.
»Schietwetter«, sagte Cervellati. Ich war bereits an der Tür und hatte kaum noch damit gerechnet, aber es kam: »Trockene Kälte macht mir überhaupt nichts aus, vor allem, wenn dann noch ein schöner Nordwind weht. Aber diese feuchte Kälte, die einem bis in die Knochen dringt...« Er sah mich an. Ich hätte viel sagen können, auch Dinge, die aus meiner Sicht lustig gewesen wären. Stattdessen seufzte ich: »Ja, Consigliere, es ist genau wie mit der Hitze – solange sie trocken ist, geht es ja noch, aber feuchte Hitze...«
4
N ach dem Besuch bei Cervellati hatte ich eine Verhandlung. Es ging um den vorsätzlichen Bankrott einer Klientin, für die ich schließlich einen Vergleich aushandeln konnte.
Eigentlich hatte die Dame mit dem Bankrott bzw. Konkurs ihrer Firma nicht das Geringste zu schaffen, und damit auch nicht mit der Justiz. Der eigentliche Inhaber des Unternehmens war nämlich ihr Gatte, der schon einmal Bankrott erklärt hatte und wegen Betrugs, Veruntreuung und Unzucht in der Öffentlichkeit vorbestraft war.
Er hatte die Firma – Vertrieb von Düngemitteln – auf den Namen seiner Frau eingetragen, Berge von Schuldscheinen von ihr unterzeichnen lassen, die Angestellten um ihren Lohn geprellt, weder Strom noch Wasser noch Telefon bezahlt und obendrein die Kasse verschwinden lassen.
Natürlich war die Firma irgendwann pleite gegangen, und die Inhaberin war des vorsätzlichen Bankrotts angeklagt worden. Die Justiz nahm ihren Lauf, die Frau wurde – wenn auch milde – verurteilt, und der Ehemann sah zu. Ein echter Kavalier.
Mein Honorar war eine Woche zuvor beglichen worden, ohne Quittung. Vermutlich mit Geldern aus der verschwundenen Kasse oder aus sonst einem der vielen undurchsichtigen Geschäfte von Herrn De Carne.
Sich im Voraus bezahlen zu lassen, besonders wenn man es mit Leuten wie De Carne zu tun hat, gehört zu den ersten Dingen, die man als Strafverteidiger lernt.
Natürlich wird man fast immer, oder doch sehr oft, mit Geld bezahlt, das kriminellen Ursprungs ist.
Diese Dinge darf man nicht laut sagen, aber wenn man einen professionellen Drogendealer verteidigt, der einem zehn-, zwanzig-, oder auch dreißig Millionen Lire dafür hinblättert, dass man ihn aus dem Knast holt, dann sollten einem gewisse Zweifel hinsichtlich der Herkunft dieses Geldes schon kommen.
Und wenn man jemanden verteidigt, der wegen wiederholter Erpressung unter Beteiligung Unbekannter vor Gericht steht, und seine Freunde kommen zu einem in die Kanzlei und sagen: Machense sich mal keine Sorgen wegen des Honorars, das übernehmen wir – na ja, dann sollte man auch hier davon ausgehen, dass das Geld wohl nicht gerade blütenrein ist...
Eines sei klargestellt: Ich war nicht besser als die andern, auch wenn ich mir bisweilen etwas Zurückhaltung auferlegte. Freilich nicht bei Kerlen wie De Carne.
Wie auch immer, ich war mit Geld unbekannter – und höchst dubioser – Herkunft im Voraus bezahlt worden, hatte einen Vergleich ausgehandelt, der sich sehen lassen konnte und der armen Ehefrau wenigstens eine Strafaussetzung zur Bewährung zusicherte. Damit konnte ich für diesen Vormittag getrost nach Hause gehen.
Ich nahm eine kurze Regenpause wahr, kaufte rasch etwas ein, ging in meine Wohnung zurück und hatte gerade begonnen, mir einen Salat zu richten, als mein Handy
Weitere Kostenlose Bücher