Guido Guerrieri 01 - Reise in die Nacht
aus.
Ich freute mich über unser Wiedersehen und fühlte mich wohl. Deshalb kostete es mich nicht die geringste Überwindung, ihr zu sagen, dass ich oft über unsere Beziehung von damals nachgedacht hatte und zu der Einsicht gelangt war, mich ihr gegenüber sehr schlecht benommen zu haben. Das sagte ich ihr ohne jeden Hintergedanken. Sie lächelte und sah mich etwas seltsam an, bevor sie mir antwortete. Was sie antwortete, war nicht unbedingt das, was ich mir erwartet hatte.
»Du warst ein verwöhnter, kleiner Junge. Du warst so auf dich selbst konzentriert, dass du gar nicht gemerkt hast, was um dich herum vor sich ging.«
»Wie meinst du das?«
»Du bist nicht einmal entfernt auf die Idee gekommen, dass ich fast ein Jahr lang einen anderen hatte.«
Ich hätte in diesem Augenblick mein Gesicht sehen wollen. Es muss ziemlich komisch ausgesehen haben, denn Rossana lächelte. Mein Anblick schien sie zu erheitern.
»Du hattest einen anderen ? Was soll das heißen?«
An diesem Punkt hörte sie auf zu lächeln und begann zu lachen. Grund dazu hatte sie ja.
»Wie, was soll das heißen? Wir waren zusammen.«
»Zusammen, wie? Du warst mit mir zusammen. Wann habt ihr euch gesehen?«
»Abends, fast jeden Abend. Nachdem du mich nach Hause gebracht hast. Er hat hinter der nächsten Ecke in seinem Wagen gewartet. Ich habe gewartet, bis du weg warst, dann bin ich um die Ecke gebogen und zu ihm eingestiegen.«
Mir war irgendwie schwindelig.
»Und wohin... wohin seid ihr gegangen?«
»In seine Wohnung an der Stadtmauer, in der Altstadt von Bari.«
»In seine Wohnung. In der Altstadt von Bari. Und was habt ihr in seiner Wohnung an der Stadtmauer in der Altstadt von Bari gemacht?«
Ich merkte zu spät, was für einen Riesenblödsinn ich da von mir gegeben hatte, aber ich war außer Stande, klar zu denken.
Auch sie merkte es und sie unternahm nichts, um mir die Sache leichter zu machen.
»Was wir gemacht haben? Du meinst nachts, in seiner Wohnung an der Stadtmauer?«
Sie fand das wirklich lustig. Ich nicht. Ich war ausgegangen, um mit meiner Ex-Freundin Tee zu trinken, und sah mich plötzlich gezwungen, die Geschichte neu schreiben zu müssen.
Sie erzählte mir, dass er Beppe geheißen hatte, Vertreter für Schmuck, verheiratet und steinreich gewesen war. Das an der Stadtmauer war eigentlich auch nicht seine Wohnung, sondern seine Junggesellenwohnung gewesen. Zur Zeit des Geschehens war er sechsunddreißig.
Ich war zur Zeit des Geschehens gerade mal zweiundzwanzig, bekam von meinen Eltern vierzigtausend Lire Taschengeld in der Woche, teilte das Zimmer mit meinem Bruder und hatte – wie ich mit einiger Verspätung feststellen musste – ein Flittchen zur Freundin.
Am Meer angekommen, bog ich nach links ab, ging ein Stück in Richtung Teatro Margherita und dann, an der Stadtmauer entlang, auf San Nicola zu. An der Stadtmauer, an der Signor Beppe seine Garçonnière gehabt hatte. In die er meine Freundin mitnahm.
Inzwischen war es hell geworden, die Luft war frisch und sauber und der Tag ideal für einen Spaziergang. Ich ging bis zum Stauferkastell weiter und von dort übers Messegelände bis zum Pinienwald von San Francesco, den ich etwa zwei Stunden und etliche Kilometer nach Verlassen des Hauses erreichte.
Es waren nicht viele Leute unterwegs. Nur ein paar Jogger und der ein oder andere Herr, der auf einer Bank saß und lieber seinen Hund joggen ließ.
Ich suchte mir eine gute Bank aus, eine von den grünen, zur Sonne ausgerichteten Holzbänken mit Rückenlehne, setzte mich und las mein Buch.
Als ich rund zwei Stunden später damit durch war, überlegte ich mir, dass ich mich hier eigentlich wohl fühlte und ruhig noch zehn Minuten ausruhen konnte, bevor ich den Heimweg antrat. Oder den Weg in meine Kanzlei, wo man sich bestimmt schon fragte, wo ich steckte.
Ich zog meine Jacke aus, denn es wurde langsam heiß, legte sie zu einem Kopfkissen zusammen und streckte mich, das Gesicht zur Sonne, auf der Bank aus.
Als ich wieder aufwachte war es Mittag. Zu den – zahlreicher gewordenen – Joggern hatten sich Pärchen von Teenagern gesellt, Frauen mit Kindern und alte Männer, die an den Steintischen Karten spielten. Auch zwei Zeugen Jehovas, die jeden zu bekehren versuchten, der sie nicht allzu feindselig anblickte.
Höchste Zeit zu gehen. Allerhöchste Zeit...
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Z u Hause angekommen, sah ich mein Handy herumliegen, ignorierte es aber bewusst. Als ich am Nachmittag in die Kanzlei ging, steckte es zwar in
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