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Guido Guerrieri 01 - Reise in die Nacht

Guido Guerrieri 01 - Reise in die Nacht

Titel: Guido Guerrieri 01 - Reise in die Nacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gianrico Carofiglio
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Schulden bei mir.«
    Abdou wandte den Blick ab, den er, während ich sprach, starr auf mich gerichtet hatte. Jetzt blickte er wieder zur Decke, aber anders als vorher. Ich glaubte auch, den Hauch eines – freilich bitteren – Lächelns auf seinen Lippen wahrzunehmen. Am Ende sprach er. Ohne mich anzusehen, aber in bestimmtem Ton.
    »Du bist intelligent, Avvocato. Ich dachte immer, ich bin intelligenter als die anderen. Das ist kein Glück, aber es ist schwierig zu verstehen. Wenn du glaubst, intelligenter als die andern zu sein, verstehst du viele Dinge nicht, bis sie dir passieren. Und dann ist es zu spät.«
    Er versuchte, den rechten Arm zu heben, aber der war angeschnallt. Ich wollte ihn schon fragen, ob ich den Gurt lösen solle, dann verkniff ich es mir jedoch. Abdou sprach weiter.
    »Heute scheint mir, dass du intelligenter bist als ich. Ich dachte, ich bin ein toter Mann, doch jetzt, nach dem, was du gesagt hast, merke ich, dass ich mich geirrt habe. Du hast etwas getan, was ich nicht verstehe.«
    Er machte eine Pause und atmete tief durch die Nase ein, wie um Kräfte zu sammeln.
    »Ich möchte, dass wir vors Schwurgericht gehen. Damit ich freigesprochen werde.«
    Ich spürte, wie mir ein Schauer vom Scheitelpunkt des Kopfes aus über den Rücken rollte. In diesem Moment wäre jeder Kommentar falsch gewesen, das wusste ich. Deshalb sagte ich nur: »Gut, wir sehen uns bald wieder.«
    Er presste erneut die Kiefer zusammen und nickte, ohne den Blick von der Decke zu wenden.
    Als ich zu meinem Auto zurückkam, fand ich unter dem Scheibenwischer einen Strafzettel wegen Parkens im absoluten Halteverbot.

14
    Z wei Wochen danach fand die Vorverhandlung statt.
    Richterin Carenza kam wie gewöhnlich zu spät.
    Ich wartete vor dem Gerichtssaal und plauderte mit den Kollegen und mit den Journalisten, die eigens für meinen Prozess gekommen waren. Cervellati hingegen ließ sich nicht blicken.
    Er wartete nicht gern vor dem Saal auf die Richter, schon gar nicht im Pulk der Anwälte. Er ließ dem Protokollführer von seinem Sekretär ausrichten, man möge ihn kurz vor Beginn der Verhandlung rufen.
    Die Carenza betrat den Saal, gefolgt vom Protokollführer und einem Gerichtsdiener, der einen Wagen voll mit Akten vor sich her schob. Auch ich trat ein, setzte mich auf meinen Platz, die Verteidigerbank rechts vom Richter, und breitete meine Unterlagen vor mir aus, einfach so, um irgendetwas zu tun und meine Nervosität zu bekämpfen.
    Wenige Sekunden später merkte ich, dass auch mein Kollege Cotugno im Saal war; er trat wohl als Nebenkläger für die Eltern des Kindes auf. Cotugno war ein älterer, ziemlich eingebildeter Anwalt, der kaum noch hörte und einen mörderischen Mundgeruch hatte.
    Unterhaltungen mit Cotugno hatten etwas Surreales. Wegen seines schlecht funktionierenden Gehörs tendierte der gute Mann dazu, seinen Gesprächspartnern immer dichter auf die Pelle zu rücken. Und diese rückten aufgrund ihrer für gewöhnlich gut funktionierenden Nasen immer weiter von ihm ab. Das heißt, soweit der Anstand und die räumlichen Gegebenheiten es eben gestatteten. Danach mussten sie sich wohl oder übel in ihr Schicksal ergeben.
    So setzte ich, kaum dass ich Cotugno – wie für den Nebenkläger üblich – in der Anklagebank Platz nehmen sah, eine komplexe Vermeidungsstrategie ins Werk. Zunächst hob ich meinen Hintern etwas an, stützte mich dann vorgebeugt auf meine Bank und streckte schließlich den rechten Arm so weit wie möglich vor, um ihm die Hand zu schütteln – eine Gleichgewichtsübung, die jegliche Art von Konversation verbietet. Danach setzte ich mich wieder.
    Die Richterin bat den Protokollführer, den Angeklagten hereinführen zu lassen.
    In diesem Augenblick tauchte zu meiner Linken Cervellati auf. Er trug einen grauen Anzug und braune Halbschuhe ohne Schnürsenkel, aber mit kleinen Troddeln. Er fragte mich, was ich mit diesem Prozess vorhätte.
    Ich log. Mein Mandant, sagte ich, habe sich die Sache bis zum letzten Augenblick überlegen wollen und deshalb würde auch ich erst an diesem Morgen erfahren, ob ich ein Schnellverfahren zu beantragen hätte oder nicht.
    Cervellati sah mich an, schien drauf und dran, etwas zu sagen, schüttelte den Kopf und setzte sich auf seinen Platz. Er glaubte mir nicht, und sein Gesichtsausdruck war alles andere als freundlich.
    Zwei Minuten später trat durch eine Seitentür, von vier Vorführbeamten bewacht und mit Handschellen gefesselt, Abdou in den Saal. Er trug eine

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