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Guido Guerrieri 01 - Reise in die Nacht

Guido Guerrieri 01 - Reise in die Nacht

Titel: Guido Guerrieri 01 - Reise in die Nacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gianrico Carofiglio
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meiner Jackentasche, war aber noch immer ausgeschaltet.
    Maria Teresa überfiel mich, kaum dass ich die Tür öffnete. Alle möglichen Leute hätten den ganzen Vormittag versucht, mich zu erreichen, zu Hause und auf dem Handy. Zu Hause habe niemand abgenommen, und das Handy sei immer ausgeschaltet gewesen.
    Klar – dachte ich – ich war ja auch im Pinienwald und habe mich gesonnt, euch allen zum Trotz und ohne dieses verfluchte Handy.
    Den Vormittag über war alles drunter und drüber gegangen.
    Ich hatte doch hoffentlich keinen Verhandlungstermin verpasst? Ah, Gott sei Dank, ich dachte schon. Ein Haufen Leute hatte mich gesucht? Okay, die würden es schon noch einmal versuchen. Nein, natürlich hatte ich nicht vergessen, dass am nächsten Tag die Berufungsfrist im Fall Colaianni ablief.
    Falsch, das hatte ich total vergessen, und es war mein Glück, dass meine Sekretärin mitdachte.
    Das Gefängnis hatte seit zwölf Uhr schon dreimal angerufen? Wie das?
    Maria Teresa hatte keine Ahnung. Sie wusste nur, dass es sich um etwas Dringendes handelte, aber worum es ging, hatten sie ihr nicht gesagt. Das dritte Mal hatte ein gewisser Inspektor Surano angerufen. Er wollte schnellstmöglich von mir zurückgerufen werden.
    Ich rief die Telefonzentrale der Haftanstalt an und bat, mich mit Inspektor Surano zu verbinden. Nachdem ich mindestens drei Minuten gewartet hatte, meldete sich eine tiefe, raue Stimme mit dem Akzent von Lecce.
    Ja, ich war Rechtsanwalt Guerrieri. Ja, der Verteidiger des Häftlings Thiam, Abdou. Ja, sicher, ich konnte ins Gefängnis kommen, aber wenn er mir vorher vielleicht noch den Grund nennen wollte.
    Er nannte mir den Grund. Der Gefangene Thiam, Abdou hatte an diesem Morgen, unmittelbar nach der Besuchszeit, einen Selbstmordversuch mittels Erhängen unternommen.
    Er war gerettet worden, als er bereits an einem Seil aus zerrissenen und miteinander verflochtenen Leintüchern hing. Jetzt lag er auf der Krankenstation der Haftanstalt und wurde rund um die Uhr überwacht.
    Ich sagte, dass ich so schnell wie möglich kommen würde.
    So schnell wie möglich ist eine ziemlich vage Angabe, wenn es darum geht, vom Zentrum von Bari zum Gefängnis zu gelangen, obendrein an einem Wochentag.
    Trotzdem schaffte ich es, in wenig mehr als einer halben Stunde vor dem Tor der Strafanstalt zu parken. Natürlich im absoluten Halteverbot.
    Auf mein Läuten öffnete mir der Pförtner, den man bereits auf meine Ankunft vorbereitet hatte. Er bat mich, kurz zu warten, und rief Inspektor Surano an, der ungewöhnlich schnell erschien. Er sagte mir, dass der Direktor mich sprechen wolle, und ob wir zuerst zu ihm gehen könnten. Ich fragte ihn, wie es meinem Mandanten gehe, und er meinte ganz gut, jedenfalls physisch. Er selbst würde mich gleich nach dem Besuch beim Direktor in die Krankenstation begleiten.
    Wir gingen vergilbte, schummrig beleuchtete Korridore entlang, die den typischen ranzigen Geruch von Gefängnissen, Kasernen und Hospitälern hatten. Hin und wieder begegneten wir einem arbeitenden Häftling, der einen Besen oder einen Putzwagen vor sich her schob. Am Ende schlugen wir einen frisch getünchten Korridor mit Grünpflanzen ein, an dessen Ende sich die Tür zum Büro des Direktors befand.
    Inspektor Surano klopfte an, steckte den Kopf ins Zimmer, sagte etwas, was ich nicht verstand, und ließ mich dann eintreten.
    Der Direktor war ein anonym wirkender Herr Mitte fünfzig mit dünner, durchscheinender Haut und ausweichendem Blick.
    Er bedauerte, was passiert war, zeigte sich aber froh darüber, dass dank der Geistesgegenwart eines seiner Mitarbeiter eine Tragödie noch einmal abgewendet worden war.
    Eine weitere Tragödie, murmelte ich stumm und dachte an den Selbstmord eines meiner Klienten – eines zwanzigjährigen Drogensüchtigen – und an die nie bestätigten Gerüchte über Misshandlung der Gefangenen zur Aufrechterhaltung der Disziplin.
    Der Direktor versicherte mir mit Nachdruck, dass er bereits rigoros angeordnet habe, den Häftling, wie hieß er noch gleich, ach ja, Thiam Abdou, rund um die Uhr zu überwachen, um zu verhindern, dass er weitere Selbstmordversuche unternahm oder sonst wie Hand an sich legte.
    Er war überzeugt, dass dieser bedauerliche Vorfall kein Nachspiel haben und schon gar nicht an die Öffentlichkeit dringen würde, denn das wäre für die Haftanstalt und für den Gefangenen selbst bestimmt nicht gut. Sollte ich noch irgendetwas benötigen, so stand er mir selbstredend jederzeit

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