Guido Guerrieri 01 - Reise in die Nacht
khakifarbene Hose und ein weißes Hemd; über seinem Arm hing eine Jacke oder ein Blouson. Er machte einen sehr sauberen Eindruck. Er war gut rasiert und sein Hemd schien frisch gebügelt.
»Hohes Gericht, darf ich kurz ein paar Worte mit meinem Mandanten wechseln, bevor die Verhandlung beginnt?«
Die Richterin nickte und befahl, dem Angeklagten die Handschellen abzunehmen.
Der Älteste unter den Wachleuten zog einen Schlüssel aus der Tasche und befreite Abdou von seinen Fesseln. Er massierte sich die Handgelenke, während ich neben ihn trat und leise mit ihm sprach.
»Also, Abdou, noch kannst du deine Meinung ändern. Nicht mehr lange, aber noch ist es nicht zu spät.«
Er schüttelte verneinend den Kopf. Ich blickte ihn einen Moment lang an, und er blickte mich an. Als ich an meinen Platz zurückging, fühlte ich mein Herz pochen und die Angst in mir aufsteigen.
Die Formalitäten zu Beginn der Verhandlung waren rasch erledigt, dann kam der kritische Moment.
»Gibt es Anträge auf alternative Verfahren?«, fragte die Carenza.
Ich erhob mich und knöpfte meine Jacke zu, während ich Abdou nochmals einen Blick zuwarf.
»Hohes Gericht, mein Mandant und ich haben lange das Für und Wider eines Schnellverfahrens erörtert und sind gemeinsam zu dem Schluss gelangt, dass wir diesen Prozess vor das Schwurgericht bringen sollten. Es gibt also keinen Antrag auf ein alternatives Verfahren.«
Ich setzte mich, ohne Cervellati anzusehen.
Die Richterin forderte daraufhin die Parteien auf, ihre Stellungnahme zu formulieren.
Cervellati fasste sich kurz. Die Straftaten, die dem Angeklagten Thiam, Abdou zur Last gelegt wurden, seien schwerwiegend, ja geradezu abscheulich, die Beweislast gegen ihn erdrückend. Für ihn stand außer Frage, dass der Angeklagte bei der Hauptverhandlung vor dem Schwurgericht in allen Punkten der Anklageschrift für schuldig befunden werden würde. Als Staatsanwalt beantrage er deshalb die Eröffnung eines Hauptverfahrens vor dem Schwurgericht, wo sich der Angeschuldigte für die zur Debatte stehenden Taten, also Entführung und Tötung des Kindes, zu verantworten habe. Allerdings müsse, gemäß Paragraph 423 StPO, der in Absatz B der Anklageschrift enthaltene Vorwurf der bloßen Tötung noch abgeändert werden, nämlich von Totschlag in Mord.
Cervellati ließ die Änderung ins Protokoll aufnehmen.
Er hatte Wort gehalten. Jetzt hatte mein Mandant eine Anklage am Hals, die im Fall eines Schuldspruchs lebenslänglich bedeutete.
Die Richterin fragte mich, ob ich eine Verlängerung der Ladungsfrist beantragen wolle – eine reine Höflichkeitsgeste, zu der sie durchaus nicht verpflichtet war. Ich lehnte dankend ab.
Nun war Cotugno an der Reihe, der sich noch kürzer fasste als Cervellati. Er schloss sich dem Antrag des Staatsanwalts an und beantragte ebenfalls die Eröffnung des Hauptverfahrens vor dem Schwurgericht.
Ich hatte wenig zu sagen, denn in einem Prozess wie diesem war die Möglichkeit eines Freispruchs bei der Vorverhandlung natürlich ausgeschlossen.
Deshalb äußerte ich lediglich, dass wir mit der Eröffnung des Hauptverfahrens einverstanden seien und nichts weiter hinzuzufügen hätten.
Danach diktierte die Richterin ihren Beschluss.
Der Angeklagte Thiam, Abdou, geb. am vierten März 1968 in Dakar, Senegal, hatte sich wegen Entführung und Mordes an einem Kind vor dem Schwurgericht Bari zu verantworten. Verhandlungstermin war der zwölfte Juni.
Dritter Teil
1
I ch war auf dem Heimweg vom Büro und überlegte mir gerade, dass ich vielleicht noch ein wenig hätte einkaufen sollen, um nicht schon wieder auswärts essen zu müssen. Da hörte ich hinter mir eine leicht guttural klingende Frauenstimme.
»Würden Sie mir ein bisschen tragen helfen? Ich breche jeden Moment zusammen.«
Meine Nachbarin Margherita. Ein Wunder, dass sie nicht bereits zusammengebrochen war, bei dem, was sie mit sich herumschleppte: eine prall gefüllte Aktentasche, mehrere Einkaufstüten und unterm Arm noch eine von diesen durchsichtigen Rollen, wie sie Architekten für ihre Zeichnungen verwenden.
Ich half ihr ein bisschen tragen – das heißt, ich nahm ihr sämtliche Einkäufe ab. Und so liefen wir nebeneinander her.
»Ein Glück, dass ich Sie getroffen habe. Vor einer Woche ging es mir ähnlich, aber da habe ich diesen alten Professor, ich glaube, er heißt Constantini, getroffen. Er wollte mir unbedingt etwas abnehmen. Ich hab ihm zwei Einkaufstüten gegeben, und einen Häuserblock weiter
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