Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Guido Guerrieri 01 - Reise in die Nacht

Guido Guerrieri 01 - Reise in die Nacht

Titel: Guido Guerrieri 01 - Reise in die Nacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gianrico Carofiglio
Vom Netzwerk:
eines Menschen gelitten haben, kann uns die Tatsache, dass die Trauer irgendwann nachlässt, bestürzen. Weil wir glauben, dass nun wirklich endgültig alles aus ist.
    Das stimmt nicht, aber damals konnte ich das noch nicht begreifen.
    Also hatte ich Margherita nicht angerufen. Ich mied sie, weil ich fürchtete, meinen Schmerz zu verlieren. Wir sind schon seltsame Kreaturen.
    Irgendwann rief sie mich an. Ich war gerade in der Buchhandlung, es war gegen halb drei, meine Lieblingszeit, weil es da immer leer ist – man hört die Hintergrundmusik und ohne störende Mitmenschen kann man sogar den Geruch des frischen Papiers in der Luft wahrnehmen.
    Als mein Handy klingelte, war ich gerade dabei, einen Aufsatz quer zu lesen. Eine alte Technik, die ich in der Zeit entwickelt hatte, als ich noch nicht genügend Geld besaß, um mir all die Bücher zu kaufen, die mich interessierten.
    Was ich gerade tat? Ach so, ich war bei Laterza. Ob sie mich zu einem Kaffee zu sich einladen durfte? Sie durfte. In zehn Minuten war ich da, länger dauerte es von der Buchhandlung nach Hause bestimmt nicht. Nein, ich wollte keinen koffeinfreien Kaffee, der normale war in Ordnung. Bis gleich. Ja, auch ich freue mich, dich zu hören. Doch, bestimmt.
    Während ich, ohne es zu merken, förmlich nach Hause rannte, überlegte ich mir, dass ich mich gar nicht daran erinnerte, ihr meine Handynummer gegeben zu haben; ich erinnerte mich auch nicht daran, ihr von meinen Schlafproblemen erzählt zu haben, und davon, dass ich koffeinfreien Kaffee trank. Und ich dachte auch, dass ich mich über ihren Anruf sehr freute.
    Sie begrüßte mich mit Handschlag und zog mich dabei leicht an sich, um mich rechts und links auf die Wange zu küssen. Eine freundschaftliche, fast schon kameradschaftliche Begrüßung. Und doch errötete ich ein wenig, weil sich unterhalb meines Bauchnabels etwas rührte.
    Sie führte mich auf ihre Terrasse hinaus, die nach Norden ging und deshalb angenehm schattig und kühl war. Wir tranken unsere Espressos und zündeten uns jeder eine Zigarette an. Margherita trug verwaschene Jeans und ein kurzärmeliges, weißes T-Shirt mit dem Aufdruck: Was für die Raupe das Ende ist, nennt die Welt Schmetterling. LAO-TSE.
    Ihr Gesicht war sonnengebräunt, ebenso wie ihre hübschen und muskulösen Arme. Sie hatte in der Zeitung einen Artikel über Abdous Prozess gelesen, groß aufgemacht, wie es so schön hieß. Sie hatte auch gelesen, dass ich der Verteidiger war, und deshalb hatte sie mich angerufen, sie wollte gern ein bisschen mehr erfahren. Ich unterdrückte einen Anflug von Ärger und war einen Moment lang versucht, die beleidigte Leberwurst zu spielen. Doch glücklicherweise ging das gleich wieder vorbei.
    Und dann erzählte ich ihr: Was in den Ermittlungsakten des Staatsanwalts stand, dass es sich um einen Indizienprozess mit sehr vielen Indizien handelte, von Abadschadsche, die mich mit der Verteidigung beauftragt hatte, und den ganzen Rest.
    Die erwartete Frage kam prompt: »Glaubst du, dass der Senegalese unschuldig ist?«
    »Ich weiß nicht. Eigentlich ist das auch nicht mein Problem. Unsere Aufgabe ist es, die Angeklagten zu verteidigen, ob sie unschuldig sind oder nicht. Die Wahrheit, so es eine gibt, müssen die Richter herausfinden. Wir müssen diese Leute nur verteidigen.«
    Sie brach in schallendes Gelächter aus.
    »Kompliment. Was war das, die Vorrede zu einem Seminar Ethische Aspekte des Rechtsanwaltberufs ? Willst du in die Politik gehen?«
    Ich suchte nach einer passenden Antwort, fand aber keine. Sie hatte Recht, und ich fragte mich selbst, was mich dazu gebracht hatte, so hochtrabend daherzureden.
    »He, du bist doch nicht etwa beleidigt, oder? Das war nur ein Scherz.«
    Sie streckte mir mit fragendem Blick den Kopf entgegen, wobei sie in mein Territorium eindrang, und ich merkte, dass ich etwas länger als angebracht geschwiegen hatte.
    »Du hast Recht, ich hab mich lächerlich gemacht. Ich glaube, dass Abdou unschuldig ist, aber ich habe Angst, es zu sagen.«
    »Warum?«
    »Weil ich das aufgrund meiner Intuition, meiner Phantasien glaube. Ich mag ihn, und deshalb glaube ich an seine Unschuld. Ich hätte gern , dass er unschuldig ist. Außerdem habe ich Angst, dass er verurteilt wird. Wenn ich allzu fest von seiner Unschuld überzeugt bin und er wird verurteilt – was fast zu erwarten ist -, dann wäre das ein harter Schlag für mich. Für ihn natürlich erst recht.«
    »Warum magst du ihn?«
    Zu meiner eigenen Verwunderung

Weitere Kostenlose Bücher