Guido Guerrieri 03 - Das Gesetz der Ehre
Wenn er das ist, dann ist das eine Riesenschweinerei.«
Er antwortete nicht gleich; er rollte den Stummel seiner Zigarre zwischen Daumen und Zeigefinger hin und her und betrachtete ihn, als handle es sich um ein hochinteressantes Objekt. Dabei ignorierte er mich völlig und schien sich erneut zu fragen, wie viel er mir erzählen konnte. Am Ende zuckte er mit den Schultern.
»Möglich, dass dein Mandant die Wahrheit sagt. Vor ein paar Monaten hat mir ein V-Mann die Ankunft größerer Ladungen Kokain aus Albanien, Montenegro, Kroatien angekündigt. Sie sollten mit genau dieser Methode ins Land geschmuggelt werden. In Fahrzeugen, die zum Beladen noch nicht mal gestohlen wurden.«
»Donnerwetter!«
»Sie beladen die Autos einen oder zwei Tage vor Abfahrt des ahnungslosen Drogenkuriers. Auf dem Schiff fährt dann einer aus der Bande mit, um die Ware im Auge zu behalten. Ist die Grenze passiert, beginnt die letzte Phase der Operation, sprich: Die Komplizen an Land klauen das Fahrzeug bei der erstbesten Gelegenheit und bringen das Zeug wieder an sich.«
»Wird in dieser Sache schon ermittelt?«
»Nein, jedenfalls nicht dass ich wüsste. Ich hab die Information ans Rauschgiftdezernat weitergeleitet. Aber alles, was ich erreicht habe, war, dass sie den Namen meines Verbindungsmanns wissen wollten, um sich persönlich mit ihm zu unterhalten.«
Sein Gesicht drückte pure Abscheu aus. Ein richtiger Bulle fragt einen Kollegen nie nach dem Namen eines V-Manns. Das ist entweder dilettantisch oder unseriös.
»Du hast ihnen natürlich gesagt, sie sollen sich zum Teufel scheren.«
»Ja, aber sehr höflich.«
»Versteht sich. Die Information wurde also nicht genutzt.«
»Nein, soweit ich weiß, nicht. Aber das interessiert uns auch gar nicht. Du musst mit deinem Mandanten und seiner hübschen Frau reden und so viel wie möglich aus ihnen herausholen. Erst dann ist gegebenenfalls an Nachforschungen zu denken, je nachdem, was sie dir erzählen.«
»Carmelo, ich werde mit ihnen reden und mir alles erzählen lassen. Aber danach musst du mir helfen. Du könntest dir beispielsweise die Passagierliste der Fähre besorgen. Und überprüfen, ob sie einen Namen enthält, der auch in euren Archiven auftaucht. Für dich ist das eine Kleinigkeit, du redest mit irgendeinem Kollegen vom Grenzschutz...«
»Ja, ja, und am besten wasche ich dir auch gleich noch die Autofenster, um den Service komplett zu machen, was meinst du?«
»Eigentlich hast du Recht. Ich hab sie schon ziemlich lange nicht mehr...«
Tancredi gab erneut Dinge in breitestem Sizilianisch von sich. Sie unterschieden sich nicht wesentlich von denen, die er mir ein paar Stunden zuvor am Telefon gesagt hatte, so wollte mir scheinen.
Am Ende meinte er aber, ich solle ihn anrufen, wenn ich mit Paolicelli gesprochen hätte.
»Wenn aus eurer Unterhaltung irgendein nützlicher Hinweis hervorgeht, will ich sehen, ob sich was daraus machen lässt. Versuch aber auch, so viel wie möglich über diesen Anwalt aus Rom in Erfahrung zu bringen. Wenn Paolicelli und seine Frau die Wahrheit sagen, hat dein Kollege irgendetwas mit dieser Drogengeschichte zu tun und könnte uns auf eine heiße Spur führen.«
Richtig. Unser Gespräch hatte zu etwas geführt, und ich konnte beinahe zufrieden sein.
Als ich aufstand und zur Kasse ging, um die Rechnung zu begleichen, sagte mir der Wirt, in diesem Lokal dürfe niemand bezahlen, ohne dass Tancredi es ihm gestatte.
Und mir war es an diesem Tag nicht gestattet.
8
Natsu Kawabata kam am Dienstagnachmittag in meine Kanzlei.
Sie trug denselben blauen Mantel wie beim letzten Mal. Aber jedes Mal schien sie mir noch schöner zu sein.
Bestimmt entstammte sie einer japanisch-europäischen Mischehe. Da sie mit Nachnamen Kawabata hieß, musste der Vater Japaner sein und die Mutter Italienerin. Sonst hätte sie nicht so perfekt Italienisch gesprochen, sogar mit leicht neapolitanischem Akzent. Ob sie wohl in Japan oder in Italien geboren war? Die dunkle Hautfarbe hatte sie jedenfalls von der Mutter, denn Japaner sind für gewöhnlich eher blass.
»Guten Abend, Herr Guerrieri.«
»Guten Abend. Bitte, setzen Sie sich.«
Ich merkte, dass ich zu viel Nachdruck in meine Worte legte, und das war mir unangenehm.
Diesmal zog Natsu ihren Mantel aus, setzte sich und deutete sogar ein Lächeln an. Ihr zarter Duft, den ich schon kannte, hatte sich bereits im Zimmer verbreitet.
»Ich freue mich, dass Sie die Vertretung für meinen Mann übernommen haben. Das
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