Guido Guerrieri 03 - Das Gesetz der Ehre
mehr?«
Das war eine intelligente Frage, auf die ich eine dumme Antwort gab.
»Sie haben ihn nicht erkannt.«
»Was hat das zu sagen? Ich habe doch nicht gesehen, wer das Rauschgift in meinen Wagen gepackt hat. Wie hätte ich ihn denn erkennen können? Wenn der begründete Verdacht besteht, dass dieser Mann in meine Geschichte verwickelt ist, ändert sich daran doch nichts, nur weil ich ihn nicht erkannt habe.«
Seine Bemerkung ärgerte mich gewaltig. Es kostete mich einiges an Überwindung, ihm keine patzige Antwort zu geben in der Art: Hier bin immer noch ich der Anwalt und du der Mandant. Ich der Verteidiger und du der Gefangene. Ja, es kostete mich Überwindung, ihn nicht dafür bezahlen zu lassen, dass er Recht hatte.
»Theoretisch ist es, wie Sie sagen. Das heißt, wir können diesen Herrn verdächtigen, aber wenn Sie ihn nicht erkennen, nutzt uns dieser Verdacht im Prozess nichts. Wenn Sie nicht in der Lage sind, konkrete Aussagen zu machen – etwa zu berichten, Sie hätten ihn an Ihrem Auto hantieren sehen, oder er habe ein auffälliges Interesse an Ihnen bekundet, nach Ihrem Rückreisedatum gefragt, oder...«
Ich hielt mitten im Satz inne, denn mir wurde plötzlich klar, dass es den Anschein haben konnte, als ob ich ihm etwas suggerieren wolle. Ihm andeuten wolle, dass es vielleicht einen Hoffnungsschimmer für ihn gab, wenn er diese Dinge sagte, egal, ob wahr oder nicht. Er hätte meinen können, ich wolle ihn dazu anstiften, sich eine Geschichte zu erfinden, jemanden Falsches wiederzuerkennen.
»Wie auch immer, Sie kennen diesen Mann nicht, Sie haben ihn nie gesehen, und ich kann nicht vor das Berufungsgericht treten und sagen: Sprechen Sie Herrn Paolicelli frei, weil sich auf seiner Fähre ein Herr befand, den die Polizei verdächtigt , ein Drogenhändler und Verbrecher zu sein.«
»Was hätte es geändert, wenn ich ihn wiedererkannt hätte?«
Ich schüttelte den Kopf. Er hatte schon wieder Recht. Das hätte gar nichts geändert, und ich merkte, wie dumm, wie dilettantisch und infantil es von mir gewesen war, diese Pseudoermittlungen aufzunehmen, ohne überhaupt zu wissen, in welche Richtung sie gingen. Ein alter Carabiniere hat einmal zu mir gesagt, das Geheimnis für den Erfolg von Ermittlungen bestehe darin zu wissen, wonach man sucht. Einfach ins Blaue hinein zu ermitteln bringt gar nichts, im Gegenteil, man kann sogar noch Schaden anrichten.
Bleierne Müdigkeit kam über mich.
»Ich weiß nicht. Es war ein Versuch. Wenn Sie den Mann wiedererkannt hätten, wäre mir vielleicht was Neues eingefallen. Was, kann ich auch nicht sagen, aber so sehe ich überhaupt keine Lösung.«
»Zeigen Sie das Foto meiner Frau. Könnte ja sein, dass ihr der Typ aufgefallen ist.«
Auch das war – rein theoretisch – richtig.
Ich würde Natsu das Foto vorlegen, aber ich wusste schon jetzt, dass auch sie den Mann nicht wiedererkennen würde. Warum, kann ich nicht sagen, ich wusste es einfach. Ich wusste, dass aus dieser Geschichte nicht das Geringste herauszuholen war und dass Paolicelli ein übles Ende nehmen würde.
All dies stand mir glasklar vor Augen. Ich kam mir vor wie jemand, der am sicheren Ufer steht und einen anderen ertrinken sieht. Und dabei tut, als täte es ihm schrecklich leid. Sogar vor sich selbst so tut.
Obwohl es gar nicht stimmt. Weil er sich in Wirklichkeit nämlich darüber freut. Ganz gemein darüber freut.
Früher oder später musst du dir eine ehrliche Arbeit suchen, Guerrieri, sagte ich mir, während ich das Gefängnis verließ.
17
N atsu kam am nächsten Tag zu mir ins Büro. Wie vorhergesehen, erkannte auch sie den Typen auf dem Bild nicht. Sie fragte, wer das sei, nahm das Foto in die Hand und betrachtete es lange und aufmerksam. So lange, dass ich schon glaubte, sie würde ihn wider Erwarten doch noch erkennen. Aber just während ich das dachte, gab sie mir das Bild kopfschüttelnd und mit zusammengepressten Lippen zurück.
Wir schwiegen. Ihre Augen schienen etwas zu suchen, irgendwo, links oben. Dann änderte ihr Blick die Richtung; jetzt starrte sie nach rechts unten, und es war, als führte sie dabei stumme Selbstgespräche. Da sie auf mich nicht achtete, nutzte ich die Gelegenheit, sie ausführlich zu betrachten; dabei fuhr ich ihre Gesichtszüge und ihre haselnussbraunen Augen im Geiste nach und ließ mir vieles durch den Kopf gehen. Zu Vieles.
»Nichts zu machen, stimmt’s?«, sagte sie in einem seltsamen Ton, von dem ich nicht recht begriff, ob es Resignation
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