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Guido Guerrieri 03 - Das Gesetz der Ehre

Guido Guerrieri 03 - Das Gesetz der Ehre

Titel: Guido Guerrieri 03 - Das Gesetz der Ehre Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gianrico Carofiglio
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wartete, in zweiter Reihe geparkt, sein Streifenwagen auf ihn.
    Mein Blick fiel auf ein Buch mit dem Titel Zufälle gibt es nicht . Ich fand, das passe zu meiner augenblicklichen Verfassung – wie auch immer man sie bezeichnen wollte -, und beschloss, das Buch ebenfalls zu kaufen. Der Polizist verließ gerade den Laden; er hatte eine von den Plastiktüten in der Hand, die es nur in Ottavios Buchladen gibt. Auf der einen Seite ist ein hellblauer, dampfender Caffellatte -Becher mit dem Schriftzug der Buchhandlung abgebildet, auf der andern eine Romanseite, ein Gedicht oder ein Aufsatzzitat. Dinge, die dem Buchhändler gefallen und die er seinen nächtlichen Kunden ans Herz legen möchte.
    Es ging mir schon viel besser. Buchhandlungen sind für mich die reinsten Beruhigungsmittel und auch Antidepressiva. Die kichernden Mädchen waren gegangen, ohne dass ich es mitbekommen hatte. Jetzt waren wir alleine, Ottavio und ich. Ich ging zu ihm hinüber.
    »Ciao, Guido. Wie geht’s dir denn so?«
    »Grandios. Es ist mir selten besser gegangen. Was hat der Polizist denn gekauft?«
    »Du wirst es nicht glauben.«
    »Sag schon.«
    » Poésie ininterrompue. «
    »Eluard?«, fragte ich erstaunt.
    »Genau. Du dürftest einer von den drei oder vier Anwälten auf der ganzen Welt sein, die dieses Buch kennen. Und er der einzige Polizist.«
    »Der macht bestimmt nicht Karriere.«
    »Das denke ich auch. Was hast du gefunden?«
    Ich zeigte ihm die Bücher, die ich mir ausgesucht hatte; er war einverstanden. Besonders mit Swados.
    »Und was liest du gerade?«
    Das Buch, das Ottavio in der Hand hatte, war klein, mit einem cremefarbenen Umschlag; auch den Verlag kannte ich nicht: Edizioni dell’Orto botanico.
    Er reichte es mir. Sein Titel war: Über das Aufbrechen von Wörtern ; der Untertitel lautete: Leitfaden für ein Seminar über das Schreiben . Der Name des Autors war auf dem Umschlag nicht genannt.
    Ich blätterte es durch und las ein paar Sätze.
    Die Wörter, die wir verwenden, haben oft gar keinen Sinn mehr. Das rührt daher, dass wir sie durch zu häufigen und vor allem falschen Gebrauch abgenutzt, erschöpft und förmlich ihres Sinnes entleert haben. Geblieben sind oft nichts als hohle Kokons. Um Geschichten erzählen zu können, müssen wir unsere Worte neu schöpfen. Wir müssen ihnen wieder Sinn, Konsistenz, Farbe, Ton, Geruch geben. Und dafür müssen wir sie zuerst in ihre Einzelteile zerlegen und dann neu zusammenfügen.
    In unseren Seminaren bezeichnen wir dieses Auseinandernehmen zum Zwecke des erneuten Zusammenfügens als »Aufbrechen«, italienisch manomissione . Das Wort manomissione hat zwei scheinbar grundverschiedene Bedeutungen. In der ersten ist es ein Synonym für die gewaltsame Veränderung, das Zerschlagen und Beschädigen von Dingen. In seiner zweiten Bedeutung, die direkt auf das alte römische Recht zurückgeht (unter manomissione - Handauflegung – verstand man in der Antike die Zeremonie, mit der ein Sklave freigelassen wurde), ist das Wort gleichbedeutend mit Befreiung, Loskauf, Emanzipation.
    Wenn wir von »Wörter aufbrechen« sprechen, so haben wir dabei beide Konnotationen des italienischen manomissione im Sinn, nämlich sowohl die destruktive als auch die konstruktive. Denn einerseits zerlegen wir die Wörter – und das wäre die zerstörerische Komponente des Begriffs -, andererseits aber fügen wir sie neu zusammen, und das wäre die konstruktive oder auch positive Komponente, denn wir befreien sie von den Fesseln verbaler Gewohnheiten und Bedeutungslosigkeiten.
    Erst nachdem wir die Wörter »aufgebrochen« und neu zusammengefügt haben, können wir mit ihnen Geschichten erzählen.
    »Hast du nur dieses eine Exemplar?«
    »Ja, aber du kannst es haben, wenn du willst. Warum interessiert dich das Thema?«
    Tja, warum interessierte es mich?
    Ich hatte als Kind einen Wunsch, er ist mir neulich wieder eingefallen, und eine Freundin meint, er wird bestimmt in Erfüllung gehen. Der Wunsch ist, Schriftsteller zu werden, und als ich dieses Buch sah, dachte ich, ein wenig Weiterbildung könnte vielleicht nicht schaden. Ich meine, so könnte ich denen, die für Wunderlampen, vierblättrige Kleeblätter und Sternschnuppen zuständig sind, ein wenig nachhelfen.
    Ich sann über diese Sätze und andere Dinge nach und phantasierte ein wenig, ohne Ottavios Frage zu beantworten. Er ließ mich sinnieren und sagte so lange nichts, bis er den Eindruck hatte, dass ich in die Realität zurückgekehrt sei.
    »Deine

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