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Guido Guerrieri 03 - Das Gesetz der Ehre

Guido Guerrieri 03 - Das Gesetz der Ehre

Titel: Guido Guerrieri 03 - Das Gesetz der Ehre Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gianrico Carofiglio
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war oder stille Verzweiflung oder etwas ganz anderes. Etwas wie ein erwartungsvoller Unterton.
    Ich zuckte mit den Schultern und schüttelte den Kopf.
    »Was soll ich sagen? Es war ein Versuch. Das einzig Sinnvolle, was mir eingefallen ist.«
    »Und was nun?«
    »Jetzt können wir nur die Verhandlung vor dem Berufungsgericht abwarten und hoffen, dass uns bis dahin eine Idee kommt. Oder dass irgendetwas geschieht.«
    »Was soll denn geschehen?«
    »Ich weiß auch nicht, aber wenn sich nichts Neues ergibt, kommen wir um den Vergleich nicht herum, das habe ich dir bereits gesagt. Und ihm auch.«
    »Sprich, sie lassen ihm ein paar Jahre nach, aber er bleibt im Gefängnis.«
    »Na ja, theoretisch können wir beantragen, dass er die Haft zu Hause absitzen darf, obwohl...«
    Ich ließ den Satz offen, und mir war bald klar, warum. Die Vorstellung, Paolicelli könne nach Hause zurückkehren, und sei es unter Arrest, war mir unerträglich und verstörte mich mehr, als ich es mir eingestehen konnte.
    »Obwohl was?« Ihre Frage drang wie ein Keil in meine Gedanken und in mein Schamgefühl.
    »Nichts. Eine rein technische Frage. Sobald wir uns mit dem Richter auf ein Strafmaß geeinigt haben, können wir Hausarrest beantragen. Große Illusionen sollten wir uns bei der Menge an Rauschgift zwar nicht machen, aber den Versuch ist es wert.«
    »Und wenn er keinen Hausarrest bekommt, wie lange müsste er dann im Gefängnis bleiben?«
    Erneut dieser seltsame Eindruck, den ich vorhin schon gehabt hatte. Der Eindruck, den Sinn, oder besser den Hintersinn, ihrer Frage nicht zu erfassen. Wollte sie wissen, wie lange sie von ihrem Mann getrennt leben musste, oder wollte sie wissen, wie viel Zeit ihr zur Verfügung stand?
    Wie viel Zeit uns zur Verfügung stand.
    Und stellte sie sich diese Frage überhaupt, oder war ich es, der sie auf sie projizierte?
    Denn ich stellte sie mir gewiss, diese Frage. Heute ist mir das völlig klar; damals nahm ich es eher verschwommen wahr. Immerhin deutlich genug, um eine Mischung aus Scham und Verlangen zu empfinden.
    Verlangen nach ihr – Natsu – und nach dem Kind. Nach der Familie, die ich nicht hatte. Der Familie eines Mannes, der im Gefängnis saß und den ich hätte schützen und verteidigen müssen.
    Ein diebisches Verlangen.
    »Schwer, das jetzt schon zu sagen. Wenn das Urteil einmal rechtskräftig geworden ist, kann ihm bei guter Führung Strafnachlass gewährt werden; auch Hafterleichterungen, wie etwa der halboffene Vollzug und Ähnliches sind möglich. Aber diese Dinge hängen von vielen Faktoren ab.«
    Pause.
    »Mit Sicherheit wird er sich – auch im günstigsten Fall – einige Jahre gedulden müssen.«
    Natsu sagte nichts, und ich bemühte mich vergeblich, ihren Gesichtsausdruck zu entziffern, während ich nach Worten suchte, um ihr zu sagen, dass ich mich gerne noch einmal mit ihr getroffen hätte. Außerhalb des Büros. Wie an dem einen Abend. Ein bisschen in der Gegend herumfahren, Musik hören, reden. Und anderes.
    Ein diebisches Verlangen.
    Ich fand sie nicht, diese Worte, und unser Gespräch, die ganze Begegnung, endete mit meiner heuchlerischen Bemerkung über den günstigsten Fall.
    Als Natsu gegangen war, sagte ich Maria Teresa, ich wolle eine halbe Stunde lang nicht gestört werden, weder von Telefonaten noch von irgendeinem Mandanten, der ohne Termin hereinschneite, was bisweilen vorkam.
    Dann kehrte ich an meinen Platz zurück, stützte den Kopf in die Hände und fühlte, dass ich weder aus noch ein wusste.

18
    I ch schloss die Kanzlei, geraume Zeit nachdem Maria Teresa gegangen war.
    Zu Hause angekommen, holte ich mir ein Eis aus dem Kühlfach, aß es, boxte danach eine halbe Stunde mit dem Sandsack, machte Liegestützen, bis meine Arme mir den Dienst versagten, stellte mich unter die Dusche.
    Ich fragte mich, wo Margherita in diesem Augenblick sein mochte, was sie tat; aber ich schaffte es nicht, sie mir vorzustellen. Wahrscheinlich wollte ich es auch gar nicht.
    Später zog ich mich an und ging aus dem Haus. Alleine und ohne ein bestimmtes Ziel zu haben, wie es in letzter Zeit immer häufiger vorkam.
    Einen Moment lang war ich versucht, Natsu anzurufen und sie zu fragen, ob ich bei ihr vorbeischauen solle.
    Ich tat es nicht und streunte stattdessen in der Stadt umher, durch die ein kalter Wind fegte.
    Seltsame, unangenehme Vorahnungen beschlichen mich. Womöglich passierte mir dasselbe wie damals, als Sara mich verlassen hatte: Schlaflosigkeit, Depression, Panikattacken. Der

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