Guido Guerrieri 04 - In ihrer dunkelsten Stunde
geplaudert. Ciao, Guido, wir sehen uns, sobald ich zurück bin.«
Wir beendeten das Gespräch, und bei dem Gedanken, dass Tancredi Tausende von Kilometern entfernt war, fühlte ich mich sehr einsam. Um dieses Gefühl zu vertreiben, sagte ich mir, dass ich etwas Sinnvolles tun wollte, oder wenigstens etwas Praktisches, und rief Fornelli an.
Die Art und Weise, wie Leute sich am Telefon melden – zumindest wenn sie nicht wissen, wer der Anrufer ist, und offensichtlich hatte Fornelli meine Nummer nicht eingespeichert –, verrät viel über ihren Charakter. Fornellis Stimme, die von einem schweren baresischen Akzent gekennzeichnet war, klang matt und grau.
»Hallo, Sabino, hier ist Guido.«
Die Stimme lebte auf und nahm ein wenig Farbe an.
»Hey, hallo, Guido.«
»Hallo, Sabino.«
»Hattest du Gelegenheit, dir die Akte anzusehen?«
Ich sagte, ja, ich hätte sie durchgelesen. Ich erzählte ihm jedoch nichts von dem Gespräch mit Navarra: Wie versprochen, würde das unter uns bleiben.
»Hast du einen Eindruck gewonnen? Meinst du, man könnte irgendetwas tun?«
»Ganz ehrlich, ich glaube nicht, dass es viele Möglichkeiten gibt, etwas zu finden, was nicht bei den Ermittlungen der Carabinieri zum Vorschein gekommen ist. Aber ich will trotzdem ein paar Dinge überprüfen, um jeden Zweifel auszuräumen.«
»Sehr gut. Was speziell hast du vor?«
Jetzt klang seine Stimme ganz anders als die jenes depressiven Mannes, der sich vorhin noch am Telefon gemeldet hatte. Er wirkte beinahe aufgeregt. Bleib ruhig, dachte ich. Es wird nichts dabei rauskommen. Mach dir keine Illusionen und pass vor allem auf, was du den armen Eltern sagst.
»Ich dachte, ich rede einmal mit Manuelas Ex-Freund, mit den beiden Freundinnen, die in Rom studieren, und natürlich auch mit dem Mädchen, das sie am Tag des Verschwindens zum Zug gebracht hat.«
Ich sagte, dass ich seine Hilfe brauchen würde, um an diese Personen heranzukommen. Er meinte, er würde sich selbstverständlich darum kümmern. Er würde Manuelas Mutter anrufen – der Vater war, wie ich gesehen hatte, nicht in der Lage, uns zu helfen – und sie fragen, wie man die Mädchen am besten erreichte. So bald wie möglich würde er sich bei mir melden. Er hatte gewusst, dass es eine gute Idee war, sich an mich zu wenden, sagte er am Schluss mit einer unpassend fröhlichen Note, einen Moment bevor er wieder in die schlammigen Abgründe seines Gewissens zurücksank, aus denen ihn mein Anruf geholt hatte.
Jetzt, dachte ich, konnte ich vielleicht wirklich arbeiten. Als Anwalt, nachdem ich Privatdetektiv gespielt hatte: Am nächsten Tag erwartete mich eine der surrealsten Verhandlungen meiner so genannten Karriere. Ich rief Consuelo an, die ich damit beauftragt hatte, die Akte zu studieren, und bat sie, in mein Zimmer zu kommen, um zusammen mit mir die Lage zu beurteilen.
12
M ein Mandant war ein junger Mann von fünfundzwanzig Jahren, der beschuldigt wurde, einen strafbaren Anschlag geplant zu haben.
Wenn man das so hört, klingt das sehr eindrucksvoll und man denkt sofort an dramatische Bilder, den beißenden Geruch von Dynamit, Tote, Schreie, Verletzte, Blut und Rettungswagen.
Bei der Lektüre der Anklageschrift und der Prozessakten sahen die Dinge jedoch schon ganz anders aus. Die Anklage stellte nämlich genau fest, dass Nicola Costantino, der einer im Artikel 422 Absatz 2 des Strafgesetzbuchs definierten und zu ahndenden Handlung angeklagt wurde, weil er, um sich selbst zu töten, Handlungen verübte, die die öffentliche Sicherheit und Ordnung gefährdeten, speziell durch das Öffnen der Gashähne in seiner Wohnung mit der Absicht, eine Explosion zu erzeugen, die potenziell das gesamte Wohnhaus hätte zerstören können; die genannte Zerstörung wurde nur durch das Eingreifen der Carabinieri verhindert.
Nicola Costantino, der seit längerer Zeit in psychiatrischer Behandlung war, hatte versucht, sich mit Hilfe des Gasherds umzubringen. Er war allein zu Hause, hatte sich in der Küche verbarrikadiert, eine halbe Flasche Rum getrunken und eine Megadosis Beruhigungsmittel geschluckt und hatte dann alle Hähne des Gasherds aufgedreht. Eine Nachbarin mit empfindlicher Nase hatte beinahe sofort gemerkt, dass etwas nicht stimmte, und die Carabinieri gerufen. Die Polizisten – »einsatzbereit und prompt zur Stelle«, wie es im Report hieß – hatten sofort Türen und Fenster aufgerissen und den Jungen auf dem Boden liegend gefunden – bewusstlos, aber wie durch ein Wunder noch
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