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Guido Guerrieri 04 - In ihrer dunkelsten Stunde

Guido Guerrieri 04 - In ihrer dunkelsten Stunde

Titel: Guido Guerrieri 04 - In ihrer dunkelsten Stunde Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gianrico Carofiglio
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nicht ganz im Jenseits. Tatsächlich hatten sie ihm das Leben gerettet. Nachdem sie sich mit dem diensthabenden Richter verständigt hatten, verhafteten sie ihn allerdings auch. Wegen Vorbereitung eines strafbaren Anschlags.
    Wenn man ein Handbuch für Strafrecht konsultiert, entdeckt man, dass es für diese Straftat tatsächlich nicht nötig ist, dass bei diesem Anschlag jemand stirbt: Es reicht aus, dass die Gefahr besteht und die entsprechende Handlung mit gemeingefährlichen Mitteln durchgeführt wird.
    Der Lehrbuchfall ist der, in dem ein Terrorist an einem öffentlichen Ort eine potenziell hochgefährliche Bombe legt. Die Bombe explodiert dann womöglich nicht, vielleicht weil die Polizei dazwischenkommt, vielleicht auch, weil irgendetwas nicht so funktioniert wie erwartet. In diesem Fall macht sich der Terrorist trotzdem eines strafbaren Anschlags schuldig, weil es seine Absicht war, eine unbestimmte Anzahl von Menschen zu töten, und weil sein Verhalten darauf gerichtet war, dieses Ergebnis zu erzielen.
    Die Geschichte meines Mandanten war allerdings wesentlich anders. Nicola Costantino war kein Terrorist, sondern ein schmächtiges Bürschchen, das große Probleme hatte und zum Scheitern verurteilt war. Er hatte beschlossen, sich das Leben zu nehmen, und das war ihm nicht gelungen, was zeigte, dass sich seine generelle Unfähigkeit auch auf das Gebiet der Selbstzerstörung erstreckte.
    Es bestand kein Zweifel daran, dass er durch Aufdrehen des Gashahns idiotischerweise auch die anderen Hausbewohner in Gefahr gebracht hatte. Genauso wenig Zweifel bestand jedoch an der Tatsache, dass er nicht beabsichtigt hatte, mit dieser idiotischen Handlung irgendjemanden umzubringen, außer sich selbst.
    Ich hatte versucht, dieses elementare Argument dem Staatsanwalt und dem Ermittlungsrichter klarzumachen, damit sie meiner These folgten, dass dieser Sachverhalt kein strafbarer Anschlag war und dass es folglich keinen Grund gab, meinen Mandanten im Gefängnis zu lassen.
    Ich hatte sie nicht überzeugen können. Die Untersuchungsrichter schrieben in der Ablehnung meines Gesuchs, »dass es für den Tatbestand des strafbaren Anschlags ausreicht, dass jemand die Absicht hat, irgendjemanden zu töten, und sei es sich selbst«.
    Diese Schlussfolgerung war von einer paradoxen, ja fast schon hypnotischen Wucht.
    Hatte Costantino nicht die öffentliche Sicherheit und Ordnung dadurch gefährdet, dass er versucht hatte – vergeblich, dank des Eingreifens der Ordnungskräfte –, sich selbst zu töten? Dadurch war er ganz automatisch ein Attentäter, mit allem, was dazugehört.
    Und da sowohl die Umstände als auch die labile Persönlichkeit des Angeklagten (das war der einzige Punkt, in dem ich mit den Richtern übereinstimmte) zu der berechtigten Annahme verleiteten, dass er diese Tat auf ähnliche Weise wiederholen könnte, erschien es unumgänglich, die Notwendigkeit der Sicherheitsmaßnahmen zu bestätigen, und zwar in ihrer konsequentesten Form, dem Gefängnisaufenthalt.
    Ich wollte gerade den Einspruch gegen diese absurde Interpretation des Strafgesetzbuchs einreichen, als die Eltern des Jungen zu mir kamen. Sie wirkten verlegen, aber nach ein paar Minuten rückten sie mit der Sprache raus und sagten mir sehr direkt, sie wollten nicht in Revision gehen.
    »Warum denn?«, fragte ich entgeistert.
    Die beiden sahen sich an, wie um zu entscheiden, wer es aussprechen sollte.
    »Wenn es um mein Honorar geht«, sagte ich, eingedenk der Summe, die ich für die Revision verlangt hatte, »dann machen Sie sich mal keine Sorgen, Sie können auch später bezahlen.«
    Es war der Vater, der mir antwortete.
    »Vielen Dank, Herr Anwalt, aber darum geht es nicht. Es ist nur so, dass es Nicola, seit er im Gefängnis ist, wesentlich besser geht. Er wird gut behandelt, sowohl vom Gefängnispersonal als auch von den anderen Gefangenen. Er ist sehr offen, er hat Freundschaften geschlossen, und wenn wir ihn besuchen, wirkt er richtiggehend fröhlich. Kurz und gut, wir haben das Gefühl, es geht ihm dort so gut wie schon lange nicht mehr.«
    Ich sah sie an, als hätte ich nicht richtig gehört. Der Vater zuckte die Achseln.
    »Lassen wir ihn noch ein paar Monate da drin«, fügte die Mutter hinzu, mit einem Gesicht, das Schuldbewusstsein, Erleichterung und sogar einen Anflug von Fröhlichkeit ausdrückte.
    »Wenn es später zum Prozess kommt, werden Sie sicherlich erreichen, dass er freigesprochen wird, und wenn er dann aus dem Gefängnis kommt, werden

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