Guido Guerrieri 04 - In ihrer dunkelsten Stunde
einem Aspirin, duschte, rasierte mich, bearbeitete meine Zähne mit übermäßigem Eifer, warf ein paar Gegenstände in eine Reisetasche, verabschiedete mich von Mister Sandsack, ohne seinen zweifelnden Blick zur Kenntnis zu nehmen, und ging das Auto holen.
Ich kam ein paar Minuten zu spät zu unserer Verabredung. Caterina wartete schon. Wir waren gleich angezogen: Jeans, blaues Jackett und weißes Hemd. Sogar unsere Reisetaschen waren ähnlich. Es sah aus, als trügen wir eine Uniform, und ich fragte mich, ob wir damit am Flughafen mehr oder weniger auffallen würden.
»Schickes Auto«, sagte sie, nachdem sie sich angeschnallt hatte und wir Richtung Norden zum Flughafen aufgebrochen waren.
»Ich brauche es so gut wie nie, es steht immer in der Garage. Ich bin lieber mit dem Rad oder zu Fuß unterwegs.«
»Was für eine Verschwendung! Wenn wir aus Rom zurückkommen, machen wir einen Ausflug. Dann musst du mich unbedingt einmal fahren lassen.«
»Um wie viel Uhr treffen wir Nicoletta?«
»Ich soll sie anrufen, wenn wir in Rom sind. Apropos, haben wir ein Dach über dem Kopf heute Nacht?«
»Ich habe zwei Zimmer in einem Hotel an der Piazza del Popolo reserviert.«
»Dann müssen wir aber ein Taxi nehmen, um zu Nicoletta zu fahren. Sie wohnt an der Via Ostiense.«
Dann, nach einer kurzen Pause: »Warum hast du zwei Zimmer reserviert? Du hättest doch eines nehmen können, das ist billiger. Oder hast du Angst davor, mit mir allein zu sein?«
Wir waren gerade auf die 16 aufgefahren, und der Verkehr war stockend, aber ich konnte nicht umhin, zur Seite zu schauen und sie anzusehen. Sie brach in Gelächter aus.
»Komm, mach nicht so ein Gesicht. Das war nur ein Scherz.«
Ich suchte nach einer witzigen Antwort, aber mir fiel keine ein. Also konzentrierte ich mich aufs Fahren. Vor mir war ein riesiger Laster, den ich gerade überholen wollte, als er plötzlich nach links ausscherte, um einen anderen Laster zu überholen. Ich bremste und drückte wutentbrannt auf die Hupe, Caterina schrie, ich sah in den Rückspiegel und hoffte, dass von hinten kein zerstreuter Fahrer mit rasender Geschwindigkeit auf mich zuschoss. Ich schaffte es gerade noch, das Riesenvieh um ein paar Zentimeter nicht zu streifen, doch mein Rücken und mein Gesicht, mein ganzer Körper wurde von einem fürchterlichen Stoß durchzuckt.
Als das Ungeheuer wieder auf der rechten Spur war und ich es überholte, ließ Caterina das Seitenfenster hinunter und zeigte ihm so lange den Mittelfinger, bis der Abstand so groß war, dass es sinnlos wurde. Normalerweise bin ich gegen solche Missfallensäußerungen, vor allem, wenn im anderen Fahrzeug jemand sitzt, der mehr als hundert Kilo wiegt. In diesem Fall war das Manöver jedoch derartig mörderisch gewesen, dass ich nicht imstande war, Caterina zu maßregeln, sondern kurz davor war mitzumachen.
»Was für ein Idiot. Ich hasse diese Lasterfahrer, das sind Mörder«, sagte sie.
Ich nickte und wartete, bis das Adrenalin und das Noradrenalin langsam wieder von meinem Körper abgebaut wurden. Wie so oft in solchen Fällen machte sich ein Gedanke in meinem Kopf breit, der ebenso störend wie idiotisch war. Falls wir einen Unfall gebaut hätten und die Polizei eingeschritten wäre, wäre herausgekommen, dass ich mit einer Dreiundzwanzigjährigen unterwegs nach Rom war, ohne es irgendjemandem mitzuteilen, und folglich mit unmissverständlichen Absichten. Wenn ich bei dem Unfall ums Leben gekommen wäre, hätte ich niemals erklären können, was der Hintergrund für diese Reise war, und mein Ende und meine Person wären in den Augen der Öffentlichkeit untrennbar mit einem schäbigen Sex-Abenteuer mit einem über zwanzig Jahre jüngeren Mädchen verbunden gewesen.
Diese hirnrissige Überlegung rief eine Erinnerung an einen Vorfall wach, der viele Jahre zurücklag.
Einer meiner Freunde aus den Achtziger- und Neunzigerjahren beschloss zu heiraten. Er war der Erste aus unserer Clique, und wir wollten für ihn eine Junggesellenparty organisieren. Da es das erste Mal war, dass wir so etwas taten, merkten wir nicht, in welchen Abgrund aus Tristesse und Armseligkeit wir uns da begaben. Irgendjemand sagte, wir müssten Prostituierte besorgen oder wenigstens Stripperinnen, damit der Junggesellenabend auch wirklich gelänge. Alle, oder fast alle, waren dafür, aber als es konkret wurde, wurde uns klar, dass keiner von uns über Kontakte zu Prostituierten verfügte oder über die Möglichkeit, sie zu engagieren.
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