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Guido Guerrieri 04 - In ihrer dunkelsten Stunde

Guido Guerrieri 04 - In ihrer dunkelsten Stunde

Titel: Guido Guerrieri 04 - In ihrer dunkelsten Stunde Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gianrico Carofiglio
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meine Hose anzuziehen.
    »Was ist los? Willst du mich nicht reinlassen?«
    Ich machte die Tür auf und ließ sie herein. Als sie an mir vorbeiging, roch ich ein Parfüm mit Ledernote, das sie ganz bestimmt nicht getragen hatte, als wir unterwegs waren. Es roch merkwürdig vertraut, beruhigend, aber mit einer aufregenden Note. Ich kam nicht darauf, woran es mich erinnerte.
    »Süß, dein T-Shirt«, sagte sie, während sie sich auf mein Bett setzte. Erst jetzt merkte ich, dass ich einen lächerlichen Comic-Wolf in Kung-Fu-Pose zur Schau trug.
    »Ach so. Ich habe nicht mit Gästen gerechnet …«
    »Du bist wirklich schrecklich.«
    »Wie meinst du das?«
    »Ich hatte erwartet, dass du mich bittest, mit aufs Zimmer zu kommen, oder wenigstens, dass du an meine Tür klopfst. Dann dachte ich, du würdest vielleicht anrufen. Aber nichts davon kam. Du bist wirklich ein starker Typ, Gi-gi! Aber mir war gleich klar, dass du nicht so bist wie die anderen.«
    Ich hatte nicht die leiseste Ahnung, was ich antworten sollte, also setzte ich eine geheimnisvolle Miene auf und versuchte, ihrer Idee zu entsprechen, dass ich anders war als die anderen.
    »Warum stehst du? Setz dich her, fühl dich ganz zu Hause.«
    Ich tat, was sie gesagt hatte. Um nicht allzu stark zu wirken, natürlich.
    Als ich mich aufs Bett setzte, roch ich wieder ihr Parfüm.
    Und dann ihre Lippen, die warm und kühl waren und weich und nach Kirschen schmeckten und nach überwältigender Jugend und Sommer und nach wunderbaren Dingen aus alten Zeiten. Die alle da waren, lebendig und gegenwärtig.
    Bevor ich verschwand, hörte ich noch ein paar Verszeilen in meinen Kopf herumschwirren.
    Wer ist, die hervorbricht wie die Morgenröte,
    schön wie der Mond, auserwählt wie die Sonne,
    schrecklich wie Heerscharen?

31
    A ls ich die Augen öffnete und auf die Uhr sah, war es nach neun.
    Caterina schlief tief und fest, mit dem Gesicht auf dem Kissen, das sie umschlungen hielt, während ihr Rücken sich beim Atmen regelmäßig hob und senkte.
    Ich stand leise auf, wusch mich, zog mich an und hinterließ ihr eine Nachricht, in der stand, dass ich einen Spaziergang machte und bald zurück sein würde. Kurz darauf war ich in der Via del Corso.
    Die Luft war mild und angenehm, und die Leute waren frühlingshaft gekleidet. Während ich mich nach einer Bar umsah, in der ich frühstücken konnte, erblickte ich einen korpulenten, beinahe glatzköpfigen Herrn in einem zerknitterten Anzug mit locker sitzender Krawatte, der mit einem Lächeln auf mich zukam.
    Wer zum Teufel war das?
    »Guido Guerrieri? Meine Güte, das nenne ich eine Überraschung. Erkennst du mich nicht? Ich bin Enrico, Enrico De Bellis.«
    Als der Name fiel, machte ich eine ungewöhnliche Erfahrung. Aus den Falten dieses entstellten Gesichtes und aus dem Treibsand der Zeit tauchten die Züge eines bildschönen, oberflächlichen Jungen auf, der aussah wie ein Held eines Foto-Romans und den ich vor fünfundzwanzig Jahren gekannt hatte.
    Als er sicher war, dass ich ihn erkannt hatte, umarmte und küsst mich De Bellis. Er roch nach billigem Rasierwasser, nach Zigaretten, ungewaschener Kleidung und auch nach Alkohol. In einem Mundwinkel klebte noch ein Rest Kaffee. Die wenigen Haare, die ihm geblieben waren, hingen ihm über die Ohren und in den Nacken.
    »Hallo, Enrico«, sagte ich, als er mich losließ. Ich versuchte mich zu erinnern, wann wir uns das letzte Mal gesehen hatten, und rief alle Informationen über sein Leben ab, die mir vorlagen. Das Studium – natürlich Jura wie alle Taugenichtse – hatte er abgebrochen, nach drei, vier Prüfungen im Lauf vieler, mit mehr oder weniger gefährlichen Spielereien angefüllter Jahre. Er hatte ein paar Geschäftsideen gehabt, die alle gescheitert waren. Ungedeckte Schecks. Betrügereien mit Kreditkarten. Eine Ehe, die ungut geendet war – sehr ungut, denn sie zog einen Rattenschwanz von Anzeigen, polizeilichen Ermittlungen und Prozessen hinter sich her – mit einem ziemlich hässlichen, reichen Mädchen. Eine Verurteilung wegen betrügerischen Bankrotts, weitere Strafverfahren wegen Betrugs und Hehlerei.
    Er war aus Bari verschwunden, verfolgt von einer Gläubigerschar, zu denen einige mehr als zwielichtige Elemente gehörten: Typen mit Spitznamen wie Knast-Peter, Wucher-Ede oder Tyson. Der Letztere hatte seinen Namen durch seine spezielle Art des Kredit-Eintreibens bekommen.
    De Bellis war irgendwann verschwunden, wie in Luft aufgelöst, was auch nur Leuten wie ihm

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