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Guido Guerrieri 04 - In ihrer dunkelsten Stunde

Guido Guerrieri 04 - In ihrer dunkelsten Stunde

Titel: Guido Guerrieri 04 - In ihrer dunkelsten Stunde Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gianrico Carofiglio
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Finanzberatung? Was soll das bedeuten, fragte ich mich, und die Antwort war, dass er ja irgendetwas auf die Karte schreiben musste und dass da wohl kaum stehen konnte: Enrico De Bellis, Nepper, Schlepper, Bauernfänger .
    »Ich wäre dir wirklich sehr dankbar, wenn du mir einen kleinen Betrag leihen könntest, den ich dir selbstverständlich innerhalb einer Woche zurückgeben würde. Ich muss das Geld Leuten zurückzahlen, die … nun ja, es sind Leute, die man besser nicht reizt. Das muss ich dir wohl nicht erklären, du bist ja ein bedeutender Strafverteidiger. Oje, ich habe dir noch gar nicht zu deiner Karriere gratuliert, aber es war ja schon damals klar, dass aus dir etwas werden würde. Ich erinnere mich noch, wie du damals, als Jugendlicher, sagtest, dass du Strafverteidiger werden würdest und dass du Karriere machen wolltest. Das hat jetzt geklappt, und du hast es verdient!«
    Niemals im Leben hatte ich vorgehabt, Strafverteidiger zu werden. Schon gar nicht damals, als ich De Bellis kannte und wir beide Jugendliche waren.
    »Ich bräuchte ein paar Tausend Euro. Die ich dir natürlich innerhalb von wenigen Tagen zurückerstatten werde. Ich schicke dir einen Brief, oder du gibst mir deine Kontonummer, und ich überweise dir den Betrag.«
    Aber sicher doch. Ich nenne dir meine Bankverbindung, und du überweist mir das Geld in ein paar Tagen, womöglich mit Zinsen.
    »Tut mir leid, Enrico, aber du kannst dir sicher vorstellen, dass ich solche Beträge nicht mit mir herumtrage.«
    »Du könntest mir einen Scheck ausstellen …«
    »Ich verwende praktisch keine Schecks mehr. Ich erledige alles mit der Kreditkarte.«
    »Aber natürlich. Du bist der Typ mit der VIP -Karte, unbegrenzter Kredit und solches Zeug. Du brauchst so was wie Bargeld oder Schecks nicht. Aber dann könnten wir zu einem Bankautomaten gehen – hier gibt es jede Menge davon – und mit deiner Karte tausend Euro abheben. Du musst mir glauben, innerhalb einer Woche, allerhöchstens zehn Tagen, hast du dein Geld zurück. Was sagst du zu dem Vorschlag?«
    Nichts sagte ich. Ich nahm meine Brieftasche, holte drei Fünfziger heraus und reichte sie ihm.
    »Ich bin leider in Eile, Enrico. Wie ich schon sagte, ich bin aus beruflichen Gründen in Rom.«
    Wortlos nahm er das Geld und ließ es in einer Tasche seines zerknitterten Jacketts verschwinden. Wir blieben noch einen Moment so voreinander stehen, ohne uns zu rühren. Er überlegte, ob er noch mehr herausholen konnte. Dann entschied er offensichtlich, dass das nicht der Fall war, denn sein Gesicht erlosch, und seine Augen wurden ausdruckslos. Ich war nicht mehr von Interesse für ihn, und das bedeutete, dass er genauso gut gehen konnte.
    »Na, wenn du es eilig hast, will ich dich nicht aufhalten.«
    Er grüßte mich kaum noch, bedankte sich nicht und erwähnte natürlich mit keinem Wort, wie er mir das Geld zurückzugeben gedachte. Er ging mit schweren, schleppenden Schritten davon und zündete sich im Gehen eine MS an. Ich stellte mir vor, dass er auf der Suche nach einem neuen Opfer war. Es war sein täglicher Kampf ums Überleben. Und gegen die Verzweiflung, die gefährlich nah hinter seinem Rücken lauerte und sich jeden Moment auf ihn stürzen konnte.
    Ein paar Stunden später saßen Caterina und ich im Flugzeug nach Bari. Wie schon in der vorangegangenen Nacht, war sie auch jetzt vollkommen unbefangen, entspannt und gut gelaunt. Sie benahm sich, als sei nichts vorgefallen, oder auch – das genaue Gegenteil –, als seien wir ein Paar, das schon lange zusammen ist. Mir hingegen war alles noch unklarer als vorher, und ich hatte immer mehr das Gefühl, etwas nicht zu bemerken, was ganz deutlich zu sehen war.
    Als ich sie vor ihrem Haus im Stadtteil Madonella absetzte, in der Nähe des Esedra-Kinos, gab sie mir einen Kuss und bat mich, sie bald anzurufen, da sie mich unbedingt wiedersehen wollte.

32
    D as Gefühl der Orientierungslosigkeit besserte sich auch nicht, als ich am Nachmittag ins Büro ging. Ich schaltete mein Mobiltelefon aus, gab die Anweisung, keine Telefonate durchzustellen, und erledigte pflichtbewusst all die Dinge, die sich in den zwei Tagen meiner Abwesenheit angestaut hatten, aber es gelang mir nicht, mich auf das zu konzentrieren, was ich tat. Wie in manchen schlaflosen Nächten glaubte ich, ein leises Geräusch wie ein Rascheln, ein Tröpfeln zu hören, das ich nicht zuordnen konnte.
    Als ich endlich eine Pause machte, beschloss ich, das, was ich herausgefunden hatte, auf den

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