Guillou, Jan - Coq Rouge 05 - Der ehrenwerte Mörder
um ein Interview. Du sollst Informationen entgegennehmen.«
»Das ist mein Job, dazu brauche ich keine Anweisungen von der Regierung. Und?«
»Nur das. Du sollst bestimmte Informationen erhalten und dafür… bestimmte Dienste als Gegenleistung anbieten, falls die Informationen brauchbar sind.«
»Das habe ich ebenfalls nicht gehört.«
»Doch, und ob du hast. Du mußt beurteilen, ob die Informationen wichtig sind, dann kannst du selbständig eine Entscheidung treffen. Ja, es geht um Erik Ponti. Er kommt in einer halben Stunde her.«
»Das ist der einzige Journalist, den ich kenne. Er arbeitet nicht hintenherum wie die anderen. Er ist sozusagen nicht bei Expressen , will ich damit sagen.«
»Im Krieg und in der Liebe ist alles erlaubt, wie du weißt. Wir befinden uns im Krieg, und er vielleicht auch. Hör ihn an und triff dann selbst eine Entscheidung. Ich möchte nicht hineingezogen werden, wenn du es nicht für absolut notwendig hältst.«
»Nein, kann ich mir vorstellen.«
»Keine Ironie, bitte.«
»Na schön, ich treffe mich mit ihm, informiere Åke und Joar über unseren erweiterten Aufgabenbereich, und ich regele etwas mit der MHA. Ist es gut so?«
»Ja.«
Carl nickte, stand auf und ging. Samuel Ulfsson atmete erst dann auf, als Carl die Tür hinter sich zugemacht hatte.
Die Situation ist nicht ganz unkompliziert, dachte er. Dann lächelte er über seine Untertreibung. Aber da das Unangenehme jetzt überstanden war, kehrte sehr schnell die gute Laune wieder. Vielleicht würde sich jetzt endlich das mit dem alten Otter klären.
Carl räumte in seinem Zimmer auf und beseitigte alles, was auch nur den kleinsten Hinweis darauf geben konnte, womit er sich beschäftigte. Dann setzte er sich hin, um zu warten. Er ging davon aus, daß es nur ein paar Minuten dauern würde. Er neigte mitunter dazu zu glauben, daß andere Menschen so pünktlich waren wie er selbst.
Doch als niemand erschien, blieb die Zeit stehen. Er sah aus dem Fenster und versuchte zu warten, ohne zu denken. Nur zu warten. Doch alles, was sich nicht aufdrängen durfte, tat es jetzt, in seine unerwartete Flaute hinein.
Er liebte Tessie, hatte es immer getan, und jeder Gedanke, ohne sie zu leben, erschien ihm unmöglich.
Eva-Britt liebte er auch. Sie würde bald Mutter seines Kindes sein, nein, sie war schon die Mutter seines Kindes. Und wenn Tessie nicht plötzlich in Arlanda gelandet wäre, würden sie bis ans Ende ihrer Tage glücklich miteinander leben.
Das war undenkbar, aber trotzdem wahr. Unmöglich, aber nichtsdestoweniger wahr. Bei vernünftigem Nachdenken mußte er früher oder später Tessie oder Eva-Britt verlassen.
Er stand vor einer Wahl. Sollte einfach sein. Sollte etwas mit der Vernunft zu tun haben.
Carl zog ein weißes Blatt Papier aus der Schreibtischschublade, als ginge es um eine beliebige Planung für ein Unternehmen. Was spricht dagegen, was dafür? Eine Überschrift EB und eine T. So, einfach und logisch. Für Tessie spricht, daß…
Er konnte es nicht zu Papier bringen. Einmal war es ein Gefühl, das sich nicht einfach in Notizen einfangen ließ, zum anderen wurde er ganz einfach verlegen. Aber mit Tessie konnte er jederzeit und nach Belieben lieben, bei allen anderen, Eva-Britt inklusive, war er mehr oder weniger impotent.
Es war das erste Mal, daß er das Wort klar und deutlich dachte.
Im Dienst war es natürlich anders. Im Dienst konnte er wahrscheinlich mit jedem seiner Organe alles tun, was er sich abverlangte.
Nun, und Eva-Britt, abgesehen davon, daß er sie liebte? Pflicht, Moral, Treue, Verantwortung, Schuldigkeit, Versprechungen, ihre Situation, Vertrauen, ein Mann steht zu seinem Wort, Kinder brauchen einen Vater, Streit um das Sorgerecht, ihr künftiges Leben als Polizistin und Mobbing-Opfer, und so weiter.
Die Worte strömten unter der Rubrik EB nur so dahin.
Carl versuchte, in der zweiten Spalte Entsprechungen zu finden. Tessies zerstörtes Dasein, seine Schuld, das Gefühlsleben, das sich am Ende doch nicht täuschen ließ. Hatten Menschen das nicht schon zu allen Zeiten getan? Denk an die Königshäuser, nein, er konnte nicht mit EB verheiratet sein und T als Geliebte haben. So benahm sich kein ehrlicher Mann, und das mußte er ja sein.
Warum mußte er es gerade in dieser Hinsicht sein, wenn er es in anderer nicht mehr war? Weil. Außerdem mußte er dieses Andere ändern.
Am Ende fand sich nur ein Sammelsurium hingekritzelter Worte auf dem Papier, die den Gedanken nicht gerade auf die
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