Guillou, Jan - Coq Rouge 05 - Der ehrenwerte Mörder
Vernehmungsprotokollen gestohlen, die diesen Hanngren betrafen. Warum nicht auch das dritte, das immerhin so interessante Angaben enthielt?
Åke Stålhandske blätterte erneut in dem Stapel, bis er das Protokoll wiederfand. Dort stand deutlich mit Überschrift und allem, wie es bei Beginn eines Verhörs üblich war, worum es ging.
Er blätterte zwei Seiten weiter und stieß auf eine neue Überschrift. Ein Bootsmann Larsson behauptete auf etwas mehr als einer Seite, er wisse von nichts, erinnere sich an nichts und habe auch sonst mit nichts etwas zu tun. Ein sehr kurzes Verhör.
Es konnte sich also um ein Versehen handeln. Man findet die beiden anderen Protokolle, doch nicht das erste, weil es den Anschein hat, als ginge es im folgenden nur noch um Larsson? Möglich. Wie auch immer: Es wirkte merkwürdig, daß jemand sich die Mühe machte, die beiden anderen Protokolle zu stehlen, aber nicht dieses.
Wer hatte sie gestohlen und wann?
Die Akte war zwischen 1944 und 1984 für geheim erklärt worden. Åke Stålhandske kam zu dem Schluß, daß der Dokumentendieb, vielleicht der Mörder, nach 1984 zugeschlagen hatte, als die Akte der Öffentlichkeit zugänglich war.
Wie viele Menschen leihen solche Akten aus? Er selbst mußte ja bei jeder Anfrage ein besonderes Antragsformular ausfüllen. Das galt vermutlich für jeden. Wurden in diesem Land, in dem alles bewahrt wurde, auch vierzig Jahre alte Anträge aufgehoben, in denen jemand um Akteneinsicht bat? Wo verwahrten die Schweden eigentlich das Ergebnis ihrer gesamten Bürokratie?
Diese Frage mußte bis auf weiteres auf sich beruhen bleiben. Zurück zu dem, was tatsächlich da war.
1942 hatte es in Göteborg nachweislich nationalsozialistische oder mit den Nazis sympathisierende Marineoffiziere gegeben. Joar hatte sich ja mit zweien beschäftigt, einem Kapitän und einem Leutnant, die wegen Spionage verurteilt worden waren.
Zur gleichen Zeit, zu der zwei Offiziere geschnappt wurden, gab es beim Stab in Göteborg einen gewissen Kapitän von Otter.
Der Quelle »Andersson« aus Göteborg zufolge arbeitete von Otter mit einem Polizeibeamten namens Jubelius zusammen, der 1943 offenbar ermordet worden war.
Von Otter war zwei norwegischen »Spionen« auf die Spur gekommen und hatte mit Hilfe von Jubelius und keinem Geringeren als af Klintén und einem gewissen Oxenstierna, Oxberg oder Oxengren dafür gesorgt, daß diese beiden Norweger im Jahre 1942 an Norwegen ausgeliefert wurden, das heißt an die Gestapo.
Warum war es so wichtig gewesen, die norwegischen Nachrichtenleute auszuliefern und von den Deutschen hinrichten zu lassen, statt sie einfach nur einzusperren und in Schweden verurteilen zu lassen? Die Verschwörer von Otter, Jubelius, af Klintén und »Oxengren« hatten sich ja erhebliche Mühe gegeben. Sie hatten sowohl Verbrechen begangen und allerlei Manipulationen angestellt, um ihr Ziel zu erreichen. Warum? Was war an diesen Spionen so besonders wichtig?
Einer der Verschwörer wurde ein Jahr später ermordet, dieser Jubelius in Göteborg. Af Klintén und Otter wurden siebenundvierzig Jahre nach Jubelius ermordet. Es konnte sich also nicht um ein und denselben Täter handeln. Aber vielleicht war es das gleiche Motiv? Der britische Nachrichtendienst?
Nein, ein lächerlicher Gedanke.
Und wer dieser »Oxengren« auch sein mochte, so war er in diesem Jahr jedenfalls nicht ermordet worden. Die illegale Ausweisung zweier Männer des norwegischen Nachrichtendienstes im Jahr ‘42 war bisher das einzige, was die Ermordeten miteinander verband. Für Sam sah es jetzt nicht gut aus. Es gab also eine Verbindung zwischen dem alten Otter und af Klintén.
Eine plötzliche Eingebung brachte Åke Stålhandske dazu, die geheimen Verzeichnisse des Generalstabs hervorzuholen, in denen Nazis aufgeführt waren. Es war nur eine kurze Liste mit Offizieren. Und somit leicht zu finden:
Viking Carl Gabriel Oxhufvud, 1940 Oberst im Generalstab. Nach einem Beschluß des Oberbefehlshabers 1944 aufgrund seiner offen geäußerten Sympathien für Nazideutschland in den einstweiligen Ruhestand versetzt.
Wenn der Mann immer noch lebte, schwebte er in diesem Augenblick in Lebensgefahr. Er schien der letzte Verschwörer zu sein, der noch am Leben war.
Im Augenblick war nicht mehr über den Herrn Nazi Oxhufvud zu erfahren. Das bedeutete eine weitere Fahrt zum Kriegsarchiv. Im Moment war es nur möglich, Vorschläge für bestimmte Maßnahmen zu machen.
Erstens: Woher sollte man erfahren,
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