Guillou, Jan - Coq Rouge 05 - Der ehrenwerte Mörder
Arlanda abzuholen, und der Anrufbeantworter hielt einen Ruf zu einer wichtigen Konferenz bereit. Es wurde zwar nicht gesagt, ging aber daraus hervor, daß Samuel Ulfsson persönlich angerufen hatte.
Sie tranken in der Küche schnell eine Tasse Kaffee. Dann mußte sie sich umziehen und war kurz darauf in ihrer Uniform verschwunden.
Carl saß eine Zeitlang fast apathisch im Wohnzimmer und hörte sich Bachs Goldberg-Variationen an, die Musik, die er im Auto gehört hatte, als Eva-Britt und ihre Kollegin ihn wegen zu schnellen Fahrens angehalten hatten.
Wenn er damals nicht zu schnell gefahren wäre, wäre er jetzt also ein glücklicher Mensch gewesen? Sinnlose Überlegung. Idiotisch dazu.
Er stand mit einem Ruck aus dem Stuhl auf, ging schnell zu seiner Stahltür und öffnete das Codeschloß, während er auf die Uhr sah. Ja, er würde es schaffen. Dann zog er sich dort drinnen mit rasender Geschwindigkeit um und widmete sich sehr kurze Zeit seinen Dehn und Aufwärmübungen, bevor er ein menschliches Phantom zu bearbeiten begann, an dem die weißen Farbmarkierungen, die Schmerz und Tod im menschlichen Organismus umrandeten, inzwischen fast völlig abgenutzt waren. Er versuchte zu durchdenken, wie die neuen Anwärter aufgetreten waren, ob er sich an etwas Gutes, aufsehenerregendes Neues oder Schlechtes erinnern konnte.
Nein, sie waren vollkommen normal gewesen. Sie waren wie er selbst, Joar oder Åke, vollkommen normal und somit tödlich.
Er schaffte es nur, drei Serien zu schießen, doch es genügte, ein gewisses inneres Gleichgewicht wiederherzustellen. Der kleinkalibrige Revolver hatte den gleichen Griff, die gleiche Schwere und den gleichen Widerstand im Abzug wie sein Dienstrevolver.
Er hatte gehofft, ein paar Stunden schlafen zu können, um den Zeitunterschied auszugleichen, doch die Übung funktionierte genausogut. Die Ziellinie zwischen Kimme und Korn nahm ihn gefangen, versetzte ihn in vollkommene Konzentration und absolute Ruhe, was einem Außenstehenden schwer zu erklären war. Doch es war vollkommen konkret und ohne jede gute oder schlechte Moral.
Er erreichte in den drei Serien die volle Punktzahl, als hätte das lange und erzwungene Aussetzen mit dem Training ihn geschärft und hungrig gemacht, statt wie sonst ihn ein wenig schlechter zu machen. Ihm schoß eine kurze Phantasie durch den Kopf, daß er verrückt werden und nie mehr mit dem Schießen aufhören könnte. Er würde in alle Ewigkeit nur in der Selbstverständlichkeit verharren, ohne Güte oder Bosheit oder Lügen oder Intrigen oder unmögliche Alternativen da draußen, die Ziellinie immer scharf im Auge und das Ziel verschwommen.
Es war eine sehr ungewöhnliche Konferenz bei Samuel Ulfsson, unter anderem, weil sie sehr lang geriet und die beiden Vortragenden beim Nachrichtendienst so etwas wie Novizen waren, die ihre drei Vorgesetzten aber trotzdem Stunde um Stunde in voller Anspannung hielten. Als sie entdeckten, mit welcher Aufmerksamkeit die Chefs ihrem Vortrag folgten, ließ ihre anfängliche Nervosität recht schnell nach.
Sie trugen abwechselnd nach einem vorläufigen Schema vor, das sie mit knapper Not hatten vereinbaren können, als sie sich vor einer Stunde getroffen hatten, um die späten Entdeckungen und Schlußfolgerungen der Nacht und des Morgens durchzugehen.
Bootsmann Gustaf Oscar Andersson hatte also zwei Norweger denunziert, die entweder für das freie Norwegen oder für den britischen Nachrichtendienst arbeiteten. Das war im Sommer 1942, wofür man sogar Anderssons eigenes Wort hatte, da er gelinde gesagt ausführlich über seine Person und seine persönlichen Verhältnisse ganz allgemein und seine Beziehungen zu Oberwachtmeister Jubelius im besonderen berichtet hatte, als die nie beendete Mordermittlung wegen Jubelius’ Tod in Göteborg stattfand.
Bootsmann Andersson war Nazi, da konnte kein Zweifel bestehen, und außerdem war er als »Zellengründer« der Braunen Garde in Göteborg gedacht.
Oberwachtmeister Jubelius hatte die Erkenntnisse über die beiden Norweger auf etwas ungewöhnliche Weise verwendet, da er mit Hilfe zweier höherer Offiziere, von denen Andersson behauptete, sie nicht zu kennen, die Abschiebung der beiden Norweger an die deutschen Besatzer des Nachbarlandes erreichte. Jubelius hatte sie persönlich in seinem Dienstwagen nach Ed gefahren, wo das Militär den Rest der Angelegenheit übernahm.
Was aus den Ermittlungsakten 1943 in Göteborg nicht hervorging, aber in einem ein Jahr später in
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