Guillou, Jan - Coq Rouge 05 - Der ehrenwerte Mörder
Tarzan.
Kåre Julian Furumo lachte plötzlich laut vor sich hin.
Joar Lundwall und Åke Stålhandske hatten sich in einen neuen Stapel Gerichtsakten vertieft, die aus den Kellern der Archive in Göteborg geholt worden waren. Es ging wiederum um Bootsmann Andersson, der in zwei Fällen verdächtig war und deswegen verhört wurde. Einmal ging es um männliche Prostitution, zum anderen um seine Zusammenarbeit mit deutschen Behörden in Göteborg.
Das hätte in beiden Fällen eigentlich zu einer Anklage führen müssen. Aus irgendeinem Grund wurde Andersson jedoch nicht verhaftet und konnte später den Fortgang der Gerechtigkeit verhindern, indem er Selbstmord beging. Die Akten waren mit einem Einstellungsbeschluß gestempelt und im Stempel mit einer unleserlichen Unterschrift versehen.
Die Prostitutionsgeschichte war nicht besonders wichtig, mußte aber gelesen werden. Das Tun und Lassen des Bootsmanns Andersson in der Braunen Garde war auch nicht von gerade zentraler Bedeutung. Er war jedoch das einzige bekannte Bindeglied zwischen von Otter und den anderen Schurken, und somit war das in einer gewissen Hinsicht, nämlich was Samuel Ulfsson betraf, das vielleicht Wichtigste von allem.
Bootsmann Andersson hatte gestanden, die beiden norwegischen Spione an Oberwachtmeister Jubelius ausgeliefert und dafür Geld bekommen zu haben. Er betonte jedoch, und das nicht ganz ohne Unrecht, daß es ja nicht falsch sein könne, der schwedischen Polizei Spione zu melden.
Da er aber irgendwo gestanden hatte, auch von den Norwegern Geld erhalten zu haben, stellte sich damit die bedeutend sensiblere Frage, was er gegebenenfalls geleistet hatte, um sich von Spionen bezahlen zu lassen.
»Eine besonders charakterbildende Studie über den Geist schwedischer Staatsbürger während des Krieges«, schnaubte Åke Stålhandske. »Man nimmt Geld von norwegischen Spionen. Also muß man ihnen etwas geben. Dann liefert man sie gegen Bezahlung an die schwedische Nazi-Polizei aus. Verhält sich also kurz so wie das ganze gottverdammte Schweden um diese Zeit. Nach hohem Vorbild. Eine Miniaturausgabe von Per Albin Hansson, könnte man sagen.«
Joar Lundwall zögerte, ob er sich auf die Polemik einlassen sollte. Åke versetzte ihn manchmal in eine merkwürdige Situation, in der er für Schweden irgendwie den Strafverteidiger spielen mußte, eine Rolle, die ihm im Hinblick auf das Schweden, das sie doch beide zu verstehen und kennenzulernen versuchten, immer weniger paßte. Es war ein völlig anderes Schweden als ihr eigenes. Oder?
Es klopfte vorsichtig an der Tür, und Sams Sekretärin Beata trat ein, ohne auf ein »Herein!« zu warten. Sie hatte ein paar schlaffe Telefaxseiten in der Hand.
»Hallo«, sagte sie, »Sam ist oben bei der Regierung und bezieht wieder Prügel, aber er sagte mir, ihr solltet das hier erhalten, sobald es kommt. Es ist das erste, was die Deutschen hervorgekramt haben, aber sie sagen, sie wühlen weiter.«
Sie legte die Papiere auf den Tisch und ging sofort zur Tür, drehte sich aber mit einem entzückten vorbedachten Lächeln um, bevor sie verschwand.
»Also die Ostdeutschen , nicht die gewöhnlichen Deutschen«, kicherte sie.
Åke Stålhandske und Joar Lundwall stürzten sich gleichzeitig auf die Dokumente. Die Texte waren relativ kurz und mit einer altertümlichen Schreibmaschine geschrieben. Die beiden versuchten verzweifelt, sich durch das erste Dokument hindurchzubuchstabieren:
Oberreichsanwalt Volksgerichtshof (8) J 11 / 43 Brandenburg (Havel)-Görden, den 30. Mai 1943 Vollstreckung des Todesurteils gegen:
AUGUST JON SKAUEN Anwesend:
als Vollstreckungsleiter:
ESt A Henning als Beamter der Geschäftsstelle:
Justizangestellter Karpe Um 15.00 Uhr wurde der Verurteilte, die Hände auf dem Rücken gefesselt, durch zwei Gefängnisbeamte vorgeführt. Der Scharfrichter Röttger aus Berlin stand mit seinen drei Gehilfen bereit.
Anwesend war ferner: der Anstaltsarzt Dr. Müller Nach Feststellung der Personengleichheit des Vorgeführten mit dem Verurteilten beauftragte der Vollstreckungsleiter den Scharfrichter mit der Vollstreckung. Der Verurteilte, der ruhig und gefaßt war, ließ sich ohne Widerstreben auf das Fallbeilgerät legen, worauf der Scharfrichter die Enthauptung mit dem Fallbeil ausführte und sodann meldete, daß das Urteil vollstreckt sei.
Die Vollstreckung dauerte von der Vorführung bis zur Vollzugsmeldung 8 Sekunden.
gez. Henning gez. Karpe Sie lasen intensiv, sprangen hin und her, ohne zu
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