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Guillou, Jan - Coq Rouge 05 - Der ehrenwerte Mörder

Guillou, Jan - Coq Rouge 05 - Der ehrenwerte Mörder

Titel: Guillou, Jan - Coq Rouge 05 - Der ehrenwerte Mörder Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jan Guillou
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Geschichte ans Licht holen wollt, es gibt irgendwo ein Urteil und Gerichtsakten«, sagte er noch zögernder, nickte und zog sich rückwärts zurück. Dann schloß er leise die Tür.
    »Wollen Sie bitte so freundlich sein und uns sofort Ihre Gerichtsakten zuschicken«, sagte Åke Stålhandske verblüfft und triumphierend zugleich.
    »Obwohl wir sicher warten müssen, bis Sam oder ein anderer alter Kamerad zurückkommt«, lachte Joar Lundwall. »Ich meine, bis jemand da ist, der die Akten pa nemjetskij anfordern kann. Teufel, im Russischen bin ich einfach viel besser.«
    » Kaneschna , selbstredend«, sagte Åke Stålhandske. »Aber du solltest Sam nicht einen alten Kameraden nennen. Das klingt in diesem Zusammenhang nicht gut.«

9
    Carl und Tessie gingen oben auf den Wällen der alten Festung Akershus Hand in Hand spazieren. Es lag fast Frühsommer in der Luft, und sie sahen aus wie ein beliebiges junges amerikanisches Touristenpärchen. Carl hatte sich eine Sonnenbrille aufgesetzt und einen weißen irischen Strickpullover über die Schultern geworfen. Er fühlte sich geborgen in der gemeinsamen Verkleidung, den bequemen Kleidungsstücken, der dunklen Brille, der englischen Sprache und mit Tessie an der Hand.
    Er hatte das Treffen unten in Grønland mit Hinweis auf dieses und jenes um einen Tag verschoben, da er mit Tessie in Oslo einen zusätzlichen Tag genießen wollte. Vermutlich empfand er so etwas wie Scham, weil er dem Privatleben vor der Arbeit Vorrang einräumte, schien aber keine Schwierigkeit zu haben, das zu verdrängen.
    Er hatte für den Spaziergang ein Ziel im Auge, das doch ein gewisses berufliches Interesse beanspruchen konnte, ein kleines Haus, Det Dobbelte Batteri og Bindingsverkhuset , das Norwegens Heimatfrontmuseum beherbergt.
    Dort sollte sich die Geschichte der Widerstandsbewegung und der Besatzung befinden. In der Dunkelheit des Museums und der feierlichen Stimmung unter Schulklassen und vereinzelten Touristen verschwand natürlich ihre Munterkeit, als sie von Vitrine zu Vitrine wanderten und sich die Geschichte von Verrat und Widerstand, meist Widerstand und Heldentum, ansahen.
    Auf längliche Stahlbleche waren in Mannshöhe drei Gesichter eingraviert. In Brusthöhe war das Stahlblech durchlöchert. Sechs Löcher in zweien der Männer und fünf in dem dritten, zählte Carl. Er fragte sich, ob es in irgendeinem Hinrichtungspeloton einen Deutschen gegeben hatte, der zumindest diese Form stummen Widerstands geleistet hatte.
    Tessie fragte, was für Männer es seien, und er las ihr die Texte vor. Sie hießen Lindeberg, Pedersen und Rasmussen und wurden im Dezember 1940 festgenommen und im August 1941 erschossen. Sie waren offenbar Funker gewesen.
    1941 operierten nur sechs Funker, die mit dem britischen Nachrichtendienst und der Exilregierung in London Kontakt hielten. 1942 waren es siebzehn geworden, 1943 achtundzwanzig und 1944 siebenundfünfzig Mann, doch 1945 verringerte sich die Zahl auf siebenundvierzig.
    Die Zahlen seien vermutlich nicht ganz korrekt, wie Carl erklärte. Angesichts der damaligen Technik sei es nicht schwer gewesen, Feindsender zu orten. Die Männer hätten große Verluste gehabt, und es endete also immer vor einem Erschießungskommando. Dennoch seien immer wieder neue Männer hinzugekommen, trotz der Risiken.
    Frauen doch auch? Tessie sah aus, als machte sie ihm Vorwürfe.
    Ja, Frauen sicher auch.
    Sie bat ihn, ein Gedicht vorzulesen, das über einer Treppe an der Wand hing, erst auf norwegisch, falls er es könne, dann übersetzt. Es war ein einfaches Gedicht, aber sie fanden, daß es dennoch viel aussagte.
    17. Mai 1940 Heute steht der Fahnenmast nackt unter den grünen Bäumen Eidsvolls.
    Doch gerade in dieser Stunde wissen wir, was Freiheit ist.
    Es geht ein Lied durch das Land, siegreich in seiner Sprache, obwohl es nur mit geschlossenen Lippen unter dem Joch der Fremden geflüstert wird.
    »Nordahl Grieg ist einer ihrer Nationaldichter, und in Eidsvoll wurde 1814 die norwegische Verfassung geschrieben«, erklärte Carl.
    »Ich dachte, Norwegen war damals eine schwedische Kolonie?« warf Tessie ein.
    »Woher weißt du so was?«
    »Hab’ ich mir angelesen, als ich mich für das Leben in einer neuen Welt vorbereitete«, erwiderte sie, als wäre das alles völlig selbstverständlich.
    »Ja, 1905 wurden sie aber frei, nachdem sich der militärische Nachrichtendienst Schwedens das größte Fiasko seiner Geschichte geleistet hatte«, flüsterte er.
    »Inwiefern?«

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