Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Guillou, Jan - Coq Rouge 05 - Der ehrenwerte Mörder

Guillou, Jan - Coq Rouge 05 - Der ehrenwerte Mörder

Titel: Guillou, Jan - Coq Rouge 05 - Der ehrenwerte Mörder Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jan Guillou
Vom Netzwerk:
flüsterte sie munter zurück, »warst du damals noch nicht dabei?«
    »Nein, Gott sei Dank. Der Nachrichtendienst teilte mit, wir brauchten unter den Norwegern nur eine Volksabstimmung zu veranstalten, dann würden die Anhänger Schwedens einen überwältigenden Sieg erringen. Der Widerstand bestehe nur aus ein paar lauten Extremistengruppen, und so weiter. Schweden erhielt, glaube ich, ein paar hundert Stimmen oder etwas in der Größenordnung, und der Rest der Norweger stimmte aus irgendwelchen Gründen für Norwegen.«
    Sie lachten. Sie küßte ihn auf die Wange, und für einige kurze Augenblicke wandelte sich ihre Stimmung und, was an der Irritation um sie herum zu merken war, auch die Stimmung der Umgebung.
    »Wir befinden uns in einem Kirchenraum, obwohl wir nur vulgäre Amerikaner sind«, flüsterte Carl und zog sie von den wütenden Blicken weg.
    Anschließend las und kommentierte er, was sie sahen. Dreihundertsechsundsechzig Norweger waren hingerichtet worden wie die drei, von denen sie die Bilder gesehen hatten. In Norwegen liegen 17 000 Ausländer in Massengräbern. 9 000 Häftlinge wurden von Norwegen nach Sachsenhausen, Natzweiler und Buchenwald gebracht. Die Frauen landeten meist in Ravensbrück. 1 300 der norwegischen Gefangenen, die meisten wahrscheinlich Juden, kehrten nie mehr zurück.
    Die Fluchtwege von Norwegen verliefen meist von Hede nach Åmål oder von Vestfold übers Meer nach Lysekil, wie auf einigen Karten dargestellt wurde. Jedoch kein Wort darüber, wie schwer es schwedischen Behörden fiel, Flüchtlinge anzuerkennen.
    Kein Wort auch darüber, daß 80 000 Norweger nach dem Krieg als Landesverräter verurteilt wurden. Tatsächlich füllten sich die leergeräumten deutschen Konzentrationslager aufs neue.
    Hier war alles nur Heldentum und ein geeintes Volk.
    Einige Ausrüstungsgegenstände faszinierten Tessie. Da waren zu Funkempfängern umgebaute Zahnprothesen, Mikrokameras, die in einem Bleistift versteckt waren, was selbst Carl imponierte, erhaltene Funksender in einem für die damalige Zeit außerordentlich handlichen Format, einer Tasche von 30 x 25 Zentimetern, hohle Absätze und Konservendosen mit irgendwelchen Instrumenten unter einer Schicht Dorschrogen. Die Widerstandsgruppen hatten romantische Namen wie Zero-Hero, Sam und Overland; englische Flugzeuge setzten jede Nacht große Behälter mit Waffen und Material an die gutta på skauen ab.
    Ja. So dürfte es gewesen sein, wenigstens zum Teil.
    Tessie blieb hartnäckig bei der Spionageausrüstung und bat Carl um Erklärungen. Plötzlich fand er sich als vollkommener Fremdenführer wieder. Er wußte fast nichts über den Zweiten Weltkrieg an sich, jedoch alles über die Nachrichtentechnik dieses Krieges. Er wußte, was es vorher gegeben hatte, was entwickelt worden war und was sich mit Einführung der Computer in den fünfziger Jahren verändert hatte. Er war ein Fachidiot auf einem sehr kleinen Gebiet des Krieges, von dem er zuwenig wüßte.
    Sie hielten sich etwas zu lange bei solchen Details auf. Er begann schon zu glauben, er langweile sie. Und sie begann auf eine Weise, die ihr nicht recht gefiel, allzusehr daran erinnert zu werden, wer er eigentlich war. Sie wurde an sein anderes Ich erinnert, mit dem sie nicht viel zu schaffen haben wollte. Mit dem sie übrigens auch nichts zu tun haben durfte; sie war nicht mal auf den Gedanken gekommen, ihn zu fragen, was er in Oslo eigentlich tat. Und ihn hatte es nicht erstaunt, daß sie nicht fragte.
    Beide spürten, daß sie jetzt Licht und etwas völlig anderes brauchten.
    Er ging mit ihr in den Vigelandspark. Sie flanierten um das königliche Schloß herum, nahmen im Hafen eine Fähre nach Bygdøy und besuchten die Wikingerschiffe. Unter allen Museen der Welt war dies wahrscheinlich sein liebstes.
    Sie kehrten schweißnaß, mit geschwollenen Füßen und hungrig ins Hotelzimmer zurück. Draußen war es noch hell. Die Abende wurden allmählich länger.
    Er sah mit einer Hand am Telefonhörer demonstrativ auf die Uhr und fragte, wann sie essen wolle. Sie sagte ebenso demonstrativ, in zwei Stunden. Da riß er den Hörer hoch und bestellte einen Tisch unter ihrem Namen.
    Sie begannen ihre zwei Stunden mit einer gemeinsamen Dusche.
    Das Theatercafé lag nur ein kurzes Stück auf der anderen Seite von Karl Johans Gate hinter dem Nationaltheater. Er wußte seit dem letzten Mal, daß man in Oslos beliebtestem Lokal einen Tisch bestellen mußte, und wußte wohl genausogut, daß er lieber ein

Weitere Kostenlose Bücher