Guillou, Jan - Coq Rouge 05 - Der ehrenwerte Mörder
nehme zu, auch wenn dies gar nicht der Fall ist.
Die Abende in den Räumen laufen fast immer gleich ab. Die rohe Rockmusik, ein besonderer Stil, der dem Punkrock nahe verwandt ist, dröhnt in dem sehr schwach beleuchteten Raum. Die Wände sind schwarz, staubig, mit Sinnlosigkeiten vollgekritzelt, wie es Außenstehenden erscheint, und manchmal sieht man das eine oder andere Hakenkreuz - das erste und vielleicht einzige, was einem Außenstehenden auffallen würde. Da fast alle Skins Raucher sind und eine Ventilation im eigentlichen Sinn fehlt, ist das Lokal entsetzlich verräuchert. Es dürfte kurz gesagt zweifelhaft sein, ob irgendeine Säule der Gesellschaft, beispielsweise ein Inspektor von der Alkoholabteilung der Sozialbehörde, falls ein solcher sich je hertraut, viel sehen oder hören würde. Ihm würden die Ohren mit einer Musik mit meist englischen Texten zugedröhnt werden. In dieser Musik geht es um die Hölle der Arbeiterklasse. Der beißende Rauch würde auch verhindern, daß er viel sieht.
Auf dem Tanzboden bewegen sich Körper wie in einer choreographischen Mischung aus Schlägerei und rohen Tänzen. Es geht rauf und runter, runter und rauf. Manchmal haben die Tanzenden sich gegenseitig die tätowierten Arme um die Schultern gelegt. Das könnte an Sado-Maso-Szenen aus irgendeiner obskuren Kellerhöhle in San Francisco erinnern. Ein Vergleich, der diese jungen Männer vermutlich tödlich verletzen würde, denn sie behaupten von sich, gegen jede Form von Perversität zu sein, gegen Schweinereien, gegen jede Rassenvermischung, gegen Kanaken, aber für die Nation, die sie liebten, Schweden nämlich, und für dessen Streitkräfte. Ihre Liebe zu den schwedischen Streitkräften bleibt freilich einseitig und unerwidert.
Eine einfache akustische Illustration dieses selbstverständlichen Umstands ist beispielsweise das Horst-Wessel-Lied. Dieses nationalsozialistische Kampflied wird etwa fünf oder sechs Mal pro Abend gespielt, denn es gilt als besonders »geil«, weil es die Bourgeoisie zum Wahnsinn treibt (obwohl die Skins, wie sie sich nennen, es so nicht ausdrücken würden), oder ganz einfach weil es ein Nazi-Lied ist.
Einige Skinheads sind Nazis oder versuchen es tatsächlich zu sein. Andere sind, falls sie sich überhaupt für Politik interessieren (abgesehen von der Auseinandersetzung des Schwedentums mit den Kanaken), fast Sozialdemokraten. Daß sie sich dennoch nicht in verschiedene Gruppen aufspalten, bietet Anlaß zu Verwunderung. Wären sie eine linksgerichtete Bewegung, hätten sich daraus schnell fünfzehn oder sechzehn Organisationen abgespalten.
Das Problem ist jedoch, daß es so wenige Skins gibt. Will man sich mit rasiertem Schädel und entblößten, tätowierten Armen unter Gleichgesinnten bewegen, muß man manches mit Nachsicht übergehen und auf das achten, was eint. Ein einigendes Band ist beispielsweise die Bewunderung für Karl XII., was irgendwie damit zusammenhängt, daß dieser schwedische König, der das Rußland Peters des Großen überfiel und das halbe schwedische Imperium verlor, damit dennoch dem Kommunismus entgegentrat und sich für das freie, nichtkommunistische und rassenreine Schweden schlug.
Hitler-Porträts finden sich nicht an den Wänden. Die Hitlergegner unter den Skins reißen solche Bilder herunter. Hingegen finden sich Bilder von Karl XII. Auf die Idee, auch sie abzureißen, käme niemand.
Falls überhaupt etwas zu Beginn dieses Abends speziell war, dann die Tatsache, daß fünf oder sechs Kameraden eingegipste Beine oder Arme hatten oder daß ihre Kiefer durch Stahldraht zusammengehalten wurden. Der Anlaß dazu war jedoch kein großes Gesprächsthema mehr; manchmal bezog man eben Prügel, manchmal teilte man welche aus. Dieses Ereignis wies zwar die Besonderheit auf, daß die Skinheads zum ersten Mal mit der Polizei zusammenarbeiteten, doch das lag daran, daß sie von Polizisten zusammengeschlagen worden zu sein glaubten und daß die Polizei nicht glaubte, daß Kollegen die Täter waren.
In der hinteren Ecke des Raums, links von dem zerkratzten, aus Hartfaser und Spanplatten bestehenden schwarzgestrichenen Bartresen, prügelten sich einige Jungen. Es war eher ein Spiel und keine richtige Schlägerei, etwa so, wie sich junge Wölfe im Kampf sowohl ihre Zärtlichkeit zeigen als auch die Rangordnung einüben. Von denen, die sich auf der Tanzfläche bewegten oder an der Bar Bier tranken, nahm niemand Notiz von der Schlägerei, die keine war. Ebensowenig
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