Guillou, Jan - Coq Rouge 05 - Der ehrenwerte Mörder
»aber da du die eine Seite rasiert hast, wirst du auch die andere rasieren müssen. Ich hatte mir vorgenommen, ein konventionelles Aussehen zu erhalten, und will nicht mit einem halben Bart herumlaufen.«
Eine runde Minute später war er völlig glattrasiert. Der Stuhl wurde hochgekippt. Carl trocknete sich das Gesicht und wurde mit Rasierwasser betupft.
Carl starrte in den Spiegel, um die Veränderung zu sehen. In dem, was er sah, lag etwas sehr Beunruhigendes, aber er konnte es nicht in Worte fassen.
Als ihm schon eine Weile die Haare geschnitten wurden, hatte er den Eindruck, als hätte auch der Ephebe etwas entdeckt, hatte das Gefühl, als geschähe etwas Unbestimmtes, vielleicht etwas Erschreckendes.
Der Blick des heruntergekommenen Kerls veränderte sich.
Bis jetzt hatte er einen trägen, fast gleichgültigen Eindruck gemacht. Doch jetzt war es, als schärfte die Schere, die ihm das Haar schnitt, gleichzeitig den Blick, als wäre er ein umgekehrter Simson. Es wuchs tatsächlich eine völlig andere Gestalt hervor, eine vollkommen andere Rolle. Vielleicht war er Schauspieler, da er jetzt allmählich so bekannt erschien.
Carl betrachtete sich mit starrem Blick, dieses andere Selbst, als der Ephebe über den Ohren die letzten Details erledigte, damit kein einziges Haar zu lang wurde. Nach einem letzten Feinschliff mit einer Trimmschere ging der Ephebe ein paar trippelnde Schritte zurück, um zu kontrollieren, daß alles fertig war. Als er im Spiegel Carls Blick begegnete, erstarrte er. Dann spürte er, wie sich ihm an den Unterarmen die Haare sträubten.
Carl sah den Augenblick des Wiedererkennens, nickte mit der Andeutung eines Lächelns, stand auf und erweckte den Eindruck, als wäre er einen Meter größer als beim Betreten des Salons.
Die anderen Friseure hatten ihre Arbeit unterbrochen, standen reglos da und starrten mit offenem Mund. Einige der Kunden drehten den Kopf, um zu sehen, und auch sie sahen sofort.
»Was bin ich schuldig? Bar oder Kreditkarte?« fragte Carl so unbeschwert er es angesichts der starrenden Blicke aus sechs Augenpaaren vermochte.
»Nichts, absolut nichts, das geht auf das Haus«, stammelte der Ephebe, der Carl bedient hatte.
Carl wollte nicht im Bann der starrenden Blicke stehenbleiben. Er nickte kurz und freundlich, nahm seine Jacke und die Aktentasche und ging hinaus. Er sah auf die Uhr und stellte fest, daß er noch Zeit hatte, etwas zu trainieren und zu schießen, bevor es Zeit war, sich in Uniform herauszuputzen.
Im Salon waren zwei der ephebenhaften Männer dabei, Carl Gustaf Gilbert Hamiltons Haarbüschel behutsam zusammenzufegen. Jemand war schnell auf die brillante Idee gekommen, die Haare in kleine Plastikschachteln zu verpacken und zu verkaufen, ja, für was? Fünfhundert Kronen pro Locke? Oder tausend?
Stockholms Skinheads haben eigene Räumlichkeiten, den einzigen Jugendclub der Stadt, in dem der Ausschank von Bier erlaubt ist. Der Grund: das anerkannte Bedürfnis der Skinheads, sich zu betrinken. Und da es unmöglich wäre, sie in irgendeinem Lokal zu versammeln, geschweige denn, ihnen dort Alkohol zu servieren, sind hochkomplizierte bürokratische Arrangements nötig gewesen, diese sowohl in alkoholpolitischer wie sozialpolitischer Hinsicht äußerst kitzlige Frage zu regeln. Das Problem, das gelöst werden sollte, ist jedoch die Frage der Gewalt auf den Straßen Stockholms. Es ist zweifelhaft, ob zweihundert oder dreihundert junge Leute mit rasiertem Schädel, Springerstiefeln und amerikanischen Bomberjacken mehr als ein Tausendstel der Straßengewalt in Stockholm zustande bringen können. Aber da ihr Lebensstil so ist, daß er viel Aufmerksamkeit erregt, macht sich ihre Gewalt publizistisch am stärksten bemerkbar, was für die Skins sowohl negative wie positive Wirkungen hat.
Ein positiver Effekt sind die beiden zusammenmontierten Baracken mit Stereoanlage und Bierausschank neben dem Jugendhof Fryshuset im Stadtteil Söder. Die Skins sollen sich in den Baracken unter ihresgleichen betrinken, damit sie einschlafen, bevor sie auf den Gedanken kommen, die Straße unsicher zu machen.
Ein negativer Effekt ihres schlechten Rufs ist die Tatsache, daß sie vor Gericht strenger verurteilt werden, wenn man sie wegen Gewalttaten anklagt. In einigen Fällen werden vermutlich auch Unschuldige verurteilt. Auch das hat seinen Grund: Seit einigen Jahren hat die Allgemeinheit strengere Ansichten über Gewalt, seitdem die Presse behauptet, die Gewalt auf den Straßen
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