Gurkensaat
Faust mitten ins Gesicht.
Annabelle beriet sich mit Toni und Miranda.
»Wenn ich nicht mit ihm spreche, fragt er einfach immer weiter. Er ist ein Hauptkommissar. So einer gibt nicht einfach auf.«
Miranda war der Meinung, die Polizei solle jetzt alles erfahren. Es wäre für sie besser, endlich wieder nach Hause gehen zu können. In der Klinik würde sie sich am Ende das Sprechen noch ganz abgewöhnen. Doch Toni war nicht überzeugt. Dieser Vogelmann wusste von Annabelles Hass auf Maurice. Vielleicht spielte er den Verständnisvollen ja bloß und wartete in Wirklichkeit nur darauf, Annabelle den Mord anzuhängen, unkte er. In diesem Fall bestünde die Gefahr, dass er ihre Aussage als plumpes Ablenkungsmanöver abtun und ihr kein Wort glauben könnte.
»Kinderknast?«, hauchte Annabelle entgeistert. »Gibt es das wirklich? Mit Ketten und so?«
Sie erinnerte sich an einen Film, den sie vor längerer Zeit gesehen hatte. Ein Gefangener, unschuldig eingesperrt, hatte versucht zu fliehen und war jämmerlich gescheitert. Für einige Sekunden überließ sie sich dem Grauen, das die Bilder von feuchten Verlieswänden und vorbeihuschenden, boshaften Ratten, klirrenden, an die Wände geschmiedeten Ketten heraufbeschworen.
Sie schüttelte energisch den Kopf.
Toni reagierte gekränkt, als sie ihm klarmachte, so etwas könne es für Kinder gar nicht geben. Typisch Junge, dachte Annabelle zärtlich. Er konnte nichts dafür. Warum nur hatte Maurice nicht ein wenig so sein können wie Toni!
So diskutierten sie noch eine Weile, beleuchteten das Für und Wider und trafen eine Entscheidung. Fast einstimmig.
41
Michael Wiener besuchte Mandy Klinger. Die junge Frau war mäßig begeistert über den frühmorgendlichen Besuch am Wochenende.
»Was wollen Sie denn um die Zeit schon von mir?«, fuhr sie den jungen Beamten an. »Irgendwann wird man ja wohl auch mal schlafen dürfen!«
Wiener rang seine Verärgerung nur mit Mühe nieder. »Guten Morgen! Ich habe noch ein paar Fragen, den Mord an Ihrem Freund betreffend«, fiel seine Antwort etwas patziger aus als geplant.
»Als ob Sie die nicht auch um elf hätten stellen können!«, grantelte sie weiter und zurrte den Gürtel ihres Bademantels enger.
»Wenn Sie möchten, warte ich einen Moment im Flur, bis Sie sich etwas anderes angezogen haben«, schlug Wiener versöhnlicher vor.
»Ach nee! Wie nett von Ihnen«, wehrte die junge Frau zynisch ab. »Wenn Sie zu nachtschlafender Zeit hier aufkreuzen, müssen Sie eben den Anblick ertragen, den ich zu diesem Zeitpunkt biete. Besonders nach dem Mord an Wolfi!«
Der junge Ermittler wagte keinen weiteren Einspruch.
»Wir versuchen, die letzten Tage von Wolfgang Maul zu rekonstruieren. Bestimmt können Sie dabei behilflich sein. Wir wissen, dass er am Mittwoch seinen freien Tag hatte. Das stimmt doch, oder?«
»War das der Tag, an dem der Enkel der Gieselkes erschossen wurde?«, fragte Mandy leise zurück.
»Ja. Was hat Ihr Freund an jenem Tag alles unternommen?«
»Soweit ich weiß, war er am Vormittag unterwegs. Recherche für das nächste Treffen der Wolfsfreunde. Er hat versucht herauszufinden, was aus Alan geworden ist.«
»Alan?« Michael Wiener zog seinen Notizblock hervor und sah seine Gesprächspartnerin aufmunternd an. »Hat Alan auch eine Adresse?«
Geringschätzigkeit lag in Mandys Augen.
»Sie haben keine Ahnung, wie? Alan ist ein Wolf! Einer der Jungwölfe aus dem Rudel bei Nochten. Er ist über 400 Kilometer weit abgewandert, bis Masuren. Nach unseren letzten Erkenntnissen war er inzwischen über 900 Kilometer weit nach Polen eingedrungen. Wir wollten aktuelle Informationen über ihn bekommen, ob er ein eigenes Rudel gegründet hat, zum Beispiel. Wolfi wollte sich mit einem Pavel aus Polen treffen, der dort in einer ähnlichen Gruppe arbeitet wie wir hier. In Polen steht man den Wölfen nicht so feindlich gegenüber wie bei uns. Da freut man sich darüber, dass sie sich wieder ansiedeln. Es werden sogar Korridore für sie geschaffen und getrennte Waldgebiete durch Neupflanzungen wieder verbunden, damit die Tiere sich auch in Westpolen ausbreiten können, wo noch jede Menge Platz für sie ist.«
Der junge Beamte zeigte sich unbeeindruckt. »Kam das Treffen zustande?«
»Nein. Wolfi musste es verschieben, weil Korbinian Nagel ihn so aufgeregt angerufen hat, dass er meinte, es sei besser, erst einmal dort die Ruhe wiederherzustellen. Die Jäger warten ja nur darauf, dass sie endlich die Chance für einen
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