Gute Leute: Roman (German Edition)
keine Kaninchen mehr im Zylinder.«
»Das werden wir noch sehen, denk daran, wie überrascht du warst, von dem Modell zu hören, und bereite dich auf die nächste Überraschung vor …« Er verstand, dass er Hermann nach Kräften provozierte, was ihn aber mit Freude erfüllte – einer mit Angst vermischten Freude. Doch die Angst war kein so schlechter Ratgeber.
»Dann bleibt uns nichts anderes als abzuwarten«, pfiff Hermann seine altbekannte Drohung daher.
»So ist es, auch wenn Geduld noch nie deine Stärke war«, erwiderte Thomas. »Wir haben noch eine offene Rechnung, und die ist erst beglichen, wenn du dort liegst, wo meine Mutter jetzt liegt.«
»Das hättest du vorher sagen sollen«, ätzte Hermann. »Hättest du dich wirklich rächen wollen, hätte ich das in deinem Gesicht gelesen, in dem Augenblick, in dem du mich gesehen hast. Dabei wissen wir doch beide, wenn ich dir die Hand reichen würde und verspräche, dir aus deinen Schwierigkeiten zu helfen, würdest du sie ergreifen.«
»Amüsant, einen Bierhausschläger zu sehen, der sich bemüht, einen Menschen wie mich zu entschlüsseln«, brauste Thomas auf. »Die Rechnung zwischen uns werde ich vor Gericht begleichen, wie es kultivierte Menschen zu tun pflegen. Ich habe schon vor geraumer Zeit einen Rechtsanwalt in Berlin beauftragt, dich wegen der Schäden, die du in meiner Wohnung angerichtet hast, und wegen deiner Mitschuld am Tod meiner Mutter zu verklagen. Und gewiss ist dir auch schon zu Ohren gekommen, dass man auch in der SS kein Pardon kennt mit Räubern, die eine Schande für die Uniform sind, die sie tragen.«
»Erst willst du mich töten und dann verklagen«, spottete Hermann. »Außerdem weißt du genau, dass wir aus deiner Wohnung nicht einmal eine Papierserviette mitgenommen haben.«
»In dem Punkt sind wir unterschiedlicher Ansicht. Nach meiner Einschätzung habt ihr jede Menge gestohlen«, stellte Thomas fest. »Vielleicht reichst du mir jetzt die Hand?«
»Eher würde ich mich umbringen«, rief Hermann hochmütig. Er reckte sich zu voller Größe auf, überragte Thomas erneut um Haupteslänge. »Die Hure Deutschland der Zwanziger Jahre war passend für Leute wie dich, aber jetzt gibt es ein neues Deutschland, und du bist wie ein Bazillus in seinem Körper. Das Problem ist, dass im Staatsapparat noch immer zu viele Krankheitserreger deiner Sorte existieren.«
»Du wirst schon noch lernen, dass die Welt vornehmlich aus Leuten wie mir besteht. Ja, auch die Regierung ist auf mich angewiesen, und das bereitet dir offenbar das größte Unbehangen: dass hinter deiner Regierung und der Partei, hinter den Aufmärschen und Triumphen am Ende meine Visage hervorlugt …«
»Das genau ist deine Schwäche, Thomas«, rief Hermann triumphierend. »Seit ich dich kenne, hast du immer geglaubt, du wärst allen anderen um zwei Schritte voraus, und dass jeder, der nicht ist wie du – entweder sich selbst belügt oder ein Feigling oder Volltrottel sein muss.«
»Mit deiner Erlaubnis, ich gehe jetzt wieder ins Bett«, sagte Thomas.
»Leider neigst du dazu, die entscheidenden Dinge nicht mitzubekommen: zum Beispiel, dass deine amerikanische Firma Deutschland niemals verlassen hat. Dich haben sie mit einem Fußtritt vor die Tür gesetzt, nachdem sie dich benutzt hatten, so wie morgen – und das ist bereits beschlossene Sache – das ›Modell des polnischen Menschen‹ dir den Laufpass geben wird. Aber du solltest wissen, dass deine Firma noch immer ausgewählte Kunden in Berlin berät und ein hübsches Konto bei der Dresdner Bank unterhält. Kürzlich erst haben sich die Herren Direktoren aus New York mit der Bitte an uns gewendet, pfleglich mit ihrer Niederlassung in Paris umzugehen.«
»Warum versteifst du dich darauf, immer ›die amerikanische Firma‹ zu sagen?«, fragte Thomas. »Wenn du an all diese Informationen gekommen bist, wirst du dich sicher auch an ihren Namen erinnern.«
»Gerade das will ich nicht«, Hermann kniff die Augen zusammen. »Heute habe ich dich beobachtet, wie du auf dem Fest wie ein verängstigtes Mäuschen herumgelaufen bist, und da habe ich das Wesen deiner Tragödie verstanden: Eigentlich sind solche Organisationen auf Leute wie dich angewiesen. Du bist ein großer Planer, ein virtuoser Redner und unermüdlicher Ehrgeizling. Aber am Ende wirst du immer mit leeren Händen dastehen.«
»Und du, dich wird es auf ewig geben?« Hermanns letzte Worte hatten ihn verletzt, vielleicht tödlich. »Ich weiß die Zeit
Weitere Kostenlose Bücher