Gute Leute: Roman (German Edition)
die Marmorsäulen und die kleinen Kronleuchter, schritt durch Flure und stieg die Freitreppe hinauf. Er hoffte, hier, im zweiten Stock, ein Büro zugeteilt zu bekommen, vielleicht würde er doch noch auf die Füße fallen. Vielleicht konnte Lublin ja ein Refugium werden, um wieder zu Kräften zu kommen, die richtigen Schlüsse zu ziehen und dann wieder aufzusteigen.
Doch seine Hoffnungen wurden umgehend zerstört: Die beiden Offiziere, auf die er traf, machten sich unverhohlen über ihn lustig, bedeuteten ihm, dass ihnen seine Stellung im Auswärtigen Amt wohl bekannt sei, ebenso wie »sein niederträchtiges Manöver in Warschau«. Man sagte ihm unumwunden, das Auswärtige Amt hege keine Wertschätzung mehr für ihn. Auf seine Frage, ob er denn noch dessen Mitarbeiter sei, erhielt er zur Antwort, entlassen habe man ihn nicht. Aber da hier alle Organisationen Sorge trügen, das Auswärtige Amt soweit als möglich von ihren Belangen fernzuhalten, unterstünde er in Lublin der Aufsicht der SS.
»Aber in Warschau war ich dem Distriktgouverneur unterstellt«, protestierte Thomas, »warum sollte ich in Lublin der SS unterstellt sein?«
»Weil der Distriktgouverneur keinerlei Verbindung mit Ihnen wünscht«, sagte man ihm.
Bald war klar, dass die Kräfte, die sich verbündet hatten, um ihn in Warschau zu Fall zu bringen, sein Leben auch in Lublin auf perfide Weise lenkten. So wurde von ihm verlangt, einen Bericht über den weißrussischen Menschen zu verfassen, den Vorgaben gemäß, die er von Dr. Georg Weller, dem Leiter der Büros des polnischen Modells, erhalten würde. Die Beschreibung seiner neuen Aufgabe erfolgte in herablassendem Tonfall. Als Thomas, seinerseits in sachlich verbindlichem Ton, nach Forschungsinstrumentarien fragte, da er mit Weißrussland nicht vertraut genug sei, wurde ihm erwidert: »Sie können ja an die Institute in Deutschland schreiben. Und nicht weit von hier, in Krakau, finden Sie das neue Institut für Oststudien. Außerdem gibt es in der Stadt eine Bücherei.«
»Mit diesen spärlichen Mitteln werde ich kein Modell erarbeiten können, das auch nur annähernd so differenziert ist wie das polnische«, beharrte Thomas.
»Man erwartet von Ihnen auch nicht noch so ein kolossales Konvolut.« Die beiden Offiziere tauschten Blicke aus. »Tun Sie einfach Ihr Bestes.«
Thomas stellte keine weiteren Fragen und verließ nach ein paar kühlen Abschiedsfloskeln den Raum. Direktiven aus Warschau trafen nicht ein, doch nach einer Woche wurde er abermals in die Kommandantur der SS bestellt, wo man ihn anwies, mit seiner Arbeit zu beginnen. Da sie zur Zeit kein Büro für ihn hätten, könne er zu Hause arbeiten und jede Woche einen Bericht über seine Fortschritte vorlegen. »Dr. Weller«, wurde ihm gesagt, »erwartet, dass Sie die Arbeit zur vollsten Zufriedenheit erledigen. Ebenso sollte Ihnen erinnerlich sein, dass die für die Erledigung des Projektes angesetzte Zeitspanne nicht endlos bemessen ist.« Wie nicht anders zu erwarten, blieben die Berichte, die er einreichte, ohne Reaktion.
August Frenzel, einer der Offiziere, die sich bei ihrer ersten Begegnung über ihn mokiert hatten, empfand offenbar Mitleid mit ihm, denn bei einem seiner wöchentlichen Besuche geleitete er ihn zur Tür und sagte, niemand hier habe Spaß daran, ihn zu schikanieren, doch es gebe ausdrückliche Weisungen, die direkt an Globocnik ergangen seien. »Sie haben sich da mächtige Feinde gemacht«, schnalzte Frenzel anerkennend.
Auch andere Angestellte und Offiziere, die von dem gepriesenen Modell gehört hatten, behandelten ihn wie einen Aussätzigen – einen Aussätzigen aber, der Lehren zu geben vermochte, die anzuhören sich womöglich lohnte. »Wenn Sie so tief gefallen sind, dann müssen Sie hoch oben gewesen sein«, flüsterte ihm Frenzel zu, der sich in Begleitung zweier Adepten befand. »Vielleicht erzählen Sie uns bei Gelegenheit einmal Ihre Geschichte.«
»Sicher, gern«, erwiderte Thomas leutselig, »wir können uns gleich heute Abend im Deutschen Haus auf ein Gläschen treffen. Eine so verschlungene Geschichte droht zwar mehrere Abende in Anspruch zu nehmen, aber uns steht ja alle Zeit der Welt zur Verfügung, nicht wahr?«
Die Unruhe, die sie allein bei dem Gedanken erfasste, in seiner Gesellschaft gesehen zu werden, amüsierte ihn.
In den ersten Monaten wandte sich niemand mit einer Anfrage an ihn. Erst im Dezember erhielt er ein Schreiben von den »Deutschen Ausrüstungswerken«, die kurz zuvor
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