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Gute Leute: Roman (German Edition)

Gute Leute: Roman (German Edition)

Titel: Gute Leute: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nir Baram
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sollte – stahl sich das Sonnenlicht auf ihren Tisch und zeichnete Muster auf die Gesichter der Anwesenden. Auf dem Tisch waren Kuchenteller, Gläser mit Limonade und ein Krug Berliner Weiße angerichtet, und auf den schmalen Wegen zwischen den Tischen kreisten Kellner in bis zum Hals zugeknöpften Jacketts. Wie erfreut man sich an einem schönen Sommertag? Man verfolgt das unbeschwerte Treiben des Lichts: Das Blattwerk ist von Strahlenkränzen verziert, zu Füßen der Tische funkeln die Kieselsteine, die tobenden Kinder und Hunde scheinen vergoldet.
    »Mein Lebtag bin ich noch keinem Slawen begegnet, der kein Lügner gewesen wäre. Denen ist die Verlogenheit der Asiaten eingepflanzt. Die Durchmischung der Rassen dort schafft einen menschlichen Abschaum, dass es zum Fürchten ist«, dozierte Georg Weller. Seit einer Stunde zogen Weller, sein junger Assistent und Hauptsturmführer Bauer mit offensichtlicher Freude über die Slawen her. Thomas, ein wenig gelangweilt und überrascht von ihrem Eifer, erwähnte, um auch etwas zur Diskussion beizutragen, einen Artikel, den er unlängst in der »Germania« gelesen habe. Darin sei der asiatische Einfluss auf die slawische Rasse erörtert worden. Er überlegte, wie er den Herren signalisieren sollte, dass eine Stunde nun wirklich lang genug gewesen war für Tratsch, »wissenschaftliche« Exkurse über die slawische Rasse und Geschwätz über »politische Belange«.
    Weller richtete seine schwarze Krawatte, die knautschig aussah wie billige Kaufhausware. Er wandte sich an Thomas und fragte, welche hervorstechenden Eigenschaften denn der polnische Mensch habe. Die Frage schien sich gut in das Geschwafel der letzten Stunde einzufügen, aber Thomas vernahm darin endlich das Signal, das vom Beginn des eigentlichen Treffens kündete: Er war hierher bestellt worden, weil Weller in ihm einen Experten für die Belange Polens sah.
    Wellers Assistent, ein schmächtiger junger Mann mit dem Gesicht eines altklugen Kindes, hatte soeben einen schalen Witz über die Verbindung zwischen Slawen und Schimpansen zum Besten gegeben und hielt nun auf den Gesichtern der um den Tisch Sitzenden nach wenigstens einem Lachfältchen Ausschau. Seine Miene schien zu sagen: Vielleicht könnt ihr mich ja trotz allem mögen?
    Weller hob den Belag seines Kuchens ab und schob sich einen Löffel Käsecreme in den Mund, während Bauer sich an seinem Bienenstich gütlich tat. Niemand lacht, beschied Thomas den jungen Fatzke wortlos, und jetzt halt endlich den Mund.
    Er ließ sich Zeit mit seiner Antwort. Schließlich entschied er sich, Weller in humorigem Ton zu tadeln: »Verehrtester, Sie erwarten doch wohl nicht im Ernst, dass ich zu einem derart komplexen Thema eine Antwort aus dem Ärmel schüttele.«
    Zwanglose Zusammenkünfte dieser Art, bei denen versucht wurde, ohne Gegenleistung an Informationen zu kommen, waren ihm nicht fremd. In diesen Fällen galt es, der Gegenseite – mit viel Begeisterung und voll guten Willens – jede Menge Informationsbröckchen hinzuwerfen und ihr das Gefühl zu geben, es sei von einer fesselnden, jedoch äußerst verzwickten Angelegenheit die Rede, der nur Experten auf den Grund gehen konnten.
    »Die Forschungsabteilung, der ich vorstand, arbeitete an einer Synthese zwischen verschiedenen Bereichen, wie zum Beispiel der Verbindung zwischen der historisch-mythologischen Erinnerung an die Jagellonendynastie und dem gewaltigen Einfluss der polnisch-litauischen Einheit auf die Glaubenswelt des polnischen Menschen einerseits und der Tiefe seiner Identifikation mit der Verfassung andererseits. Ich meine selbstverständlich jene von 1791, bekanntermaßen die erste ihrer Art in Europa, nicht zu reden von jenem kontinuierlichen kulturellen Zufluss aus Frankreich nach Polen: angefangen bei einer traditionellen Begeisterung für die Prinzipien der Jakobiner, die Übersetzung französischer Literatur, die Übernahme akademischer Lehrmethoden, bis hin zu populären Magazinen mit französischem Odeur, die sich größter Beliebtheit bei der polnischen Damenwelt erfreuen. All dies sind nur kleine Beispiele«, schloss Thomas, »das Thema ist, wie gesagt, einigermaßen komplex.«
    Er war nicht zufrieden mit seiner Antwort. Sie war nicht schlagfertig, nicht spannend genug. Es war ihm nicht gelungen, die Beispiele zu einer hinreichend spannenden Geschichte zusammenzufügen. Er war wie eine eingerostete Feder, hatte seit Monaten vor allem mit Klarissa gesprochen.
    Der junge Adlatus leckte

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