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Gute Leute: Roman (German Edition)

Gute Leute: Roman (German Edition)

Titel: Gute Leute: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nir Baram
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ergänzende Studie, eine neue Synthese der für das ursprüngliche Modell gesammelten Daten.
    Sieh an, mit ein bisschen Übung fand auch die Zunge zur alten Geschmeidigkeit zurück.
    Ein Kellner trat an den Tisch und begann, die Teller auf einem Tablett zu stapeln. Abgesehen von dem Brot im Korb und Thomas’ Apfelstrudel waren nur Krümel, Obstreste und etwas Schlagsahne übergeblieben.
    »In diesem Restaurant bekommt man die wunderbarsten Kuchen in ganz Berlin«, seufzte Weller, und Thomas bedeutete dem Kellner, seinen Strudel nicht abzutragen. Während er noch mit seiner Gabel spielte, fragte ihn Bauer spitz: »Als Fachmann für Ostbelange sprechen Verehrtester auch Polnisch?«
    Er ließ die Gabel sinken und erwiderte aufgeräumt, er verstünde selbstverständlich Polnisch, spreche es aber nicht fließend, um dann sogleich die anderen Sprachen aufzuzählen, die er beherrschte: Englisch, Französisch, Italienisch und nicht zuletzt Russisch. Weller wirkte in höchstem Maße zufrieden, der Jungspund schaute ihn bewundernd an, während über Bauers Gesicht ein indigniertes Zucken huschte.
    Weller nutzte die Gelegenheit, sich mit seinen eigenen Russischkenntnissen zu brüsten – in seiner Position musste er diese Sprache beherrschen: »Wann haben Herr Heiselberg denn Zeit gefunden, all dies zu erlernen?«, fragte er mit leicht knirschendem Akzent auf Russisch.
    »Ich habe Sprachen schon immer geliebt«, erwiderte Thomas und genoss es, die Worte in seinem Moskauer Akzent auszusprechen. »Als Junge habe ich Russisch aus Büchern gelernt, und später hat meine Mutter mir einen Lehrer besorgt, der aus Moskau stammte. Ich nehme die Melodie einer neuen Sprache auf und dann fällt alles leichter, auch wenn der Wortschatz noch fehlt.«
    »In der Tat, man hätte einen exakteren Wortschatz bemühen können, und auch die Flexionen ließen sich noch verfeinern. Wenn Sie möchten, ich bin gerne bereit, bei kleinen Korrekturen behilflich zu sein«, bot Weller mit schulmeisterlicher Strenge an. »Ihre Aussprache aber ist wirklich bewundernswert.«
    Bauers Miene verfinsterte sich zusehends angesichts der trauten Zweisamkeit, die sich zwischen Weller und Thomas entwickelte. Er nahm ein paar Kieselsteine vom Boden auf und ließ sie auf der Handfläche hüpfen, ehe er nachdrücklich verlangte, dass an diesem Tisch von jetzt an nur noch Deutsch gesprochen werde.
    »Herr Heiselberg, lässt sich ein neues Modell in derart kurzer Zeit überhaupt erstellen?«, fragte Weller.
    »Wie viel Zeit steht uns denn zur Verfügung?«, antwortete Thomas mit einer Frage, die er sogleich bereute. Ich habe zu überhastet Begehrlichkeit signalisiert, dachte er bedauernd.
    »Im äußersten Fall einige Wochen«, erwiderte Weller. »Die Verhandlungen zwischen Deutschland und der Sowjetunion sollen sehr bald beginnen.«
    Diesmal beeilte sich Thomas nicht mit einer Antwort und gab Bauer Gelegenheit, sich mit den schleppend verlaufenden Kontakten zwischen den Westmächten und der Sowjetunion zu spreizen, als wäre diese Saumseligkeit sein persönlicher Erfolg. Bauer tönte, er warne hier und heute, wenn die Regierung noch länger zögerte, würden die Franzosen und Engländer Stalin am Ende noch Zugeständnisse im Osten machen, um ihn zu einem Waffengang mit Deutschland zu verführen.
    »Stalin wird keinerlei Abkommen mit ihnen schließen«, meinte der Assistent herablassend. »Immerhin hat er schon den Juden Litwinow aus seinem Außenministerium gejagt, um die Beziehungen zu Deutschland zu verbessern. Da gibt es keinen Raum für eine andere Lesart.«
    Mut hatte es ja, das Jüngelchen. Steckte einen Schlag nach dem nächsten weg und gab nicht auf.
    »In der Tat«, sprang ihm Weller bei. »Aber das Modell, über das wir hier sprechen, soll sich nicht aus banalem Zeitungsmaterial speisen.«
    »Oh, ganz gewiss nicht.« Thomas nutzte die Gelegenheit. »Unser Modell hält sich an streng wissenschaftliche Prinzipien. Es jagt nicht Ereignissen hinterher, sondern erklärt die Gegenwart und schlägt Maßnahmen vor, die für die Gestaltung der Zukunft erforderlich sind. Daher meiden wir eine direkte Verbindung zur jetzigen Politik.« Den Begriff »jetzig« sprach er mit Geringschätzung aus, wie er sie bei den Professoren an der Universität herausgehört hatte, wenn sie den Studenten auf Fragen zu tagesaktuellen Belangen antworteten.
    »Genau so etwas brauchen wir.« Wellers Wangen rundeten sich zu zwei fleischigen Bällchen.
    Bauer ließ mit offenkundigem Missfallen

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