Gute liegt so nah...
Nesselverbrennungen verschrieben und der sonnenverbrannte Glatzkopf eine Lidocaine-Creme.
Am Nachmittag wurde es etwas ruhiger, und ich erkundigte mich telefonisch nach einigen Patienten, erledigte Papierkram, diktierte meine Fälle und machte schließlich Feierabend. Samstags schloss die Praxis um fünf. Es war ein herrlicher Tag, klar und trocken nach dem Regen am gestrigen Abend, und die Route 6 war voller Touristen. Ich fuhr nach Hause und zog meine Joggingkleidung an. Digger starrte freudig wedelnd auf meine Turnschuhe, denn er wusste genau, was sie bedeuteten. Ich zog mir ein T-Shirt über („Free Your Inner Lance“ – „Lass deinen Lance raus“, eine Anspielung auf den mehrfachen Tour-de-France-Sieger Lance Armstrong) und machte mich auf zu einem lockeren Lauf.
Mittlerweile war ich eine ganz gute Läuferin, ich musste nicht mehr alle dreißig Meter stehen bleiben, um mich zu übergeben, wieder zu Atem zu kommen oder zusammenzubrechen. Zugegeben, ich würde keine echte Athletin werden, ich machte immer noch kleine Schritte, mein Tempo war langsam. Aber es machte mir Spaß, ich genoss die frische salzige Luft, die Zeit mit meinem Hund. Am schönsten war die Zufriedenheit, die sich nach absolviertem Training einstellte.
Heute wehte der Wind durch die Bäume, und die Sonne schien freundlich. Ich hörte Strandgeräusche, während ich die Ocean View entlanglief – das Kreischen der Möwen, das sich mit Kindergeschrei und dem Rauschen der Brandung vermischte.
Da ich hier keine richtige Ablenkung mehr hatte, musste ich prompt wieder an Joe denken, was ich in den vergangenen zwölf Stunden tunlichst vermieden hatte. Wie sollte ich bei unserer nächsten Begegnung reagieren? So tun, als sei nichts passiert? Das würde mir schwerfallen, schließlich liebte ich ihn. Ich hatte viel Geld und Zeit investiert, damit er mich wahrnahm, und es war mir gelungen. Was also war schiefgelaufen?
Ich beendete meine Joggingrunde und ging verschwitzt und genervt ins Haus, wo ich mich ins Wohnzimmer setzte. Ich war so mies drauf, dass ich mich nicht einmal aufraffen konnte zu duschen. Katie war bei der Arbeit, Curtis hatte sich gestern Abend schon mit mir beschäftigt. Vielleicht könnte ich bei meinen Eltern vorbeischauen … aber dann würde meine Mom wissen wollen, wie das Essen gelaufen war, und ich müsste ihr gestehen, dass man mich versetzt hatte. Sollte ich nach Boston fahren, um Janette zu besuchen? Nein, viel zu dichter Verkehr, und mir fehlte einfach die Energie dafür. Anscheinend brauchte ich mehr Freunde. Vielleicht hatte Sam Lust, sich mit mir einen Film anzusehen.
Digger sprang auf, rannte zur Hintertür und fing an, wie verrückt zu bellen. Ich stemmte mich aus dem Sessel, fuhr mir durch die verschwitzten Haare und folgte meinem Hund. Wahrscheinlich war es mein Dad, der sich erkundigen wollte, ob noch irgendwelche Männerarbeiten am Haus anstanden.
Ich irrte mich, denn auf meiner Veranda stand Joe Carpenter.
Mein Verstand setzte aus. Ich öffnete automatisch die Tür, und Digger stürzte sich bellend auf Joe, der sich bückte, um ihm den Kopf zu kraulen, was meinen Hund sofort zum Verstummen brachte.
„Hallo, Millie“, begrüßte er mich und sah grinsend zu mir auf.
„Joe“, hauchte ich.
„Du weißt es nicht mehr, oder? Wow, nicht zu fassen.“ Er richtete sich auf und schüttelte den Kopf. „Oh, Millie. Du hast mich zum Essen eingeladen. Schon vergessen?“ Er hob mahnend den Zeigefinger. „Böses Mädchen …“
„Aber … aber …“, stammelte ich. Mein Verstand weigerte sich, den Horror zu akzeptieren, der mir allmählich dämmerte: Joe war hier, und ich stand völlig verschwitzt und mit gerötetem Gesicht vor ihm. Er hatte sich im Tag geirrt, natürlich, aber nun war er hier, und ich sah aus wie …
„Darf ich reinkommen?“, fragte er lächelnd, sodass die sexy Grübchen auf seinen Wangen erschienen.
„Was? Oh, klar, komm rein.“ Ich ließ ihn eintreten. Digger folgte ihm, begeistert an seinen Arbeitsstiefeln schnüffelnd.
„Joe, ehrlich gesagt hast du …“ Zum Glück setzte mein Verstand rechtzeitig wieder ein. „Oh Gott, ich habe es tatsächlich vergessen. Es tut mir schrecklich leid.“
„Macht nichts“, sagte er großzügig. „Darf ich trotzdem bleiben?“
„Selbstverständlich. Ich muss nur schnell … ich komme gerade vom Joggen und …“ Ich wusste, wie ich aussah und vermutlich roch, und es war mir schrecklich peinlich.
„Geh nur, lass dir Zeit.“ Er sah sich in
Weitere Kostenlose Bücher