Gute Nacht Jakob
einem Taschentuch, das er aus der Brusttasche zog, die Augen aus und einen Tropfen von der Nase, tätschelte mich auf den Kopf und sagte: »Gewiß, lieber Max, gewiß, lieber Max!«
Dann klingelte es wieder, und es erschien der Generaldirektor Busch mit seiner ungeheuer dicken Frau, die kolossal nach Parfüm roch und der ich einen tiefen Diener zu machen und sie mit »Tante Busch« zu titulieren hatte. Ich trabte hinter ihr her in das Schlafzimmer und versuchte ihr dort beim Ablegen zu helfen. Sie hatte nämlich am Finger ein kleines Paket baumeln, von dem ich nicht zu Unrecht annahm, daß es für mich sei. Bei all ihrer Leibesfülle und bei der Entledigung des schweren Nerzmantels wurde ich jedoch gar nicht bemerkt und gewissermaßen an die Wand gefegt. Omama war intensiv um sie herum. Tante Busch erzählte ihr, heftig durch die Nase atmend, daß sie schon wieder fünf Pfund zugenommen und außerdem nachts immer einen Schluckauf habe. Omama sagte, sie solle die Arme hochheben und die Füße in kaltes Wasser stecken.
»Das kann ich nicht«, sagte Tante Busch deprimiert, »dann wacht Oskar auf. Er schnarcht zwar so, daß ich nicht schlafen kann, aber er ist sehr ärgerlich, wenn er geweckt wird.«
»Soll ich dir vielleicht eine Schüssel mit kaltem Wasser holen, Tante Busch?« fragte ich aus dem Hintergrund. »Ja — was machst du denn hier?« fragte Omama.
Tante Busch wälzte sich herum, wobei es einen richtigen Luftzug gab: »Ach, laß ihn doch, Paulchen, er meint es ja so gut, ein richtiger kleiner Kavalier! Ach... übrigens hier, mein kleiner Kavalier... ist etwas für dich!«
»Vielen Dank, Tante Busch!« (Na also, warum nicht gleich?) Ich nahm das Paketchen und sauste damit aus dem Zimmer.
Draußen rollten gerade Onkel Leo und Tante Lola ein. Ich versteckte schnell das Geschenkpäckchen hinter dem Gasmesser und ging ihnen entgegen. Onkel Leo hatte einen Spitzbart und sehr kalte Augen. Opapa sagte, er ginge über Leichen und habe das Gemüt eines Fleischerhundes, was ihm von der Omama streng verwiesen wurde. Tante Lola war eine sehr schöne Frau, frühere Schauspielerin, und was man >statiös< nannte, das heißt, sie hatte eine schlanke Taille, konnte aber trotzdem einen ansehnlichen Busen in der Auslage präsentieren. Außerdem hatte sie große dunkle Augen wie die Antilopen im Zoo, eine tiefe Stimme, und Tante Frieda, die Frau des Redakteurs, die inzwischen auch gekommen war und mir einen derben Kuß gab, hatte mal erwähnt, Tante Lola habe mit Opapa eine >Liaison< gehabt, worunter ich mir nichts vorstellen konnte, denn man versuchte es mit »Psst, psst, der Junge!« vor mir zu verheimlichen.
Tante Lola begrüßte Opapa mit einem fragend vertraulichen Augenaufschlag und gab der Omama einen innigen Kuß. Omama erwiderte den Kuß mit Wärme, und ich bin heute überzeugt, daß sie es nur meinetwegen und im Hinblick auf die >Erbtante< tat.
Auch jetzt strich mir Tante Lola wieder über den Kopf, drückte mir eine Tüte in die Hand, die mindestens fünf Pfund wog, und sagte dann zur Mama, die inzwischen auch aufgetaucht war: »Zu dünn, der Junge, viel zu dünn! Gebt ihr ihm denn genug Butter? Man sollte eine Butterkur mit ihm machen!«
Ich hatte eigentlich eine Feuerwehr oder ein paar Schachteln Zinnsoldaten erwartet, bedankte mich aber sehr artig und verdrückte mich dann in mein Zimmer, um die beiden Pakete zu untersuchen. Inzwischen klingelte es ununterbrochen. Die Gäste begannen die Räume zu überschwemmen und standen zunächst ziemlich ungemütlich in den vorderen Zimmern herum. Dann kam Werkenthau und wurde von mir mit Argusaugen beobachtet. Er erinnerte mich an den scheußlichen Kerl von der Ferienfahrt, der Mama den Hof gemacht hatte. Opapa begrüßte er zunächst ziemlich oberflächlich mit: »‘n Abend, Kollege, Busch schon da?«
Währenddessen fuhren seine Mausaugen blitzschnell über die Bibliothek, in die man ihn geführt hatte. In der Tür erschien jetzt Busch im Gespräch mit Onkel Leo. Werkenthau war sofort strahlend vertraulich-süßlich. Busch gab ihm die Hand: »Was Neues, Werkenthau?«
»Alles in bester Ordnung, Herr Generaldirektor!«
Dann setzte er mit den schleichenden Schritten eines Panthers — und gefolgt von mir — seinen Erkundungsgang in den Salon fort. Dort prallte er auf Onkel Poldi, der die Mama unter den Arm gefaßt hatte. Werkenthau, der angesichts der Kronleuchter, der schönen alten Möbel und der kleinen, festlichen Tische zu blinzeln begonnen hatte, knickte in
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