Gute Nacht, mein Geliebter
bist und folgst, du verwöhnter kleiner Affe, bis du dich so benimmst, wie ich es will.«
Flora war noch da, lebte in den Erinnerungen des Hauses. Sie würde Justine nie loslassen, das war in ihrem Blick zu lesen, dort gab es eine Stärke jenseits des Schreckens, Justine hatte es gesehen, als sie Flora besuchte, eine Art triumphierender Hohn.
Sie begann, am ganzen Körper zu zittern, ihr Hals schwoll zu und wurde trocken. Sie musste etwas Wasser trinken gehen.
Dann holte sie ein paar Plastiksäcke. Alles schmiss sie hinein, Schuhe, Schmuck, Kleider, alles, was an Flora erinnerte.
Dann fiel ihr Blick auf die Anzüge ihres Vaters, und sie trat in die Kleiderkammer und verbarg ihr Gesicht in ihnen. Jetzt weinte sie, bitterlich und laut, dann zerrte sie die Anzüge von ihren Bügeln und stopfte auch sie in die Säcke.
Am nächsten Vormittag fuhr sie zum Pflegeheim zurück. Sie hatte tief und traumlos geschlafen, hatte ziemlich viel Wein getrunken, ehe es ihr endlich gelang, einzuschlafen. Sie fühlte sich fiebrig, hatte das Gefühl, ein Band wäre um ihre Stirn gespannt worden.
Gunlis kam ihr auf dem Korridor entgegen. Ihre Augen waren rot unterlaufen.
»Sieh einer an, guten Tag«, sagte sie und gähnte. »Oh, Verzeihung!«
»Das macht doch nichts, ich bin auch ein wenig müde. Aber ich hatte vor, Mama heute ein wenig mit nach Hause zu nehmen. Ist das okay?«
Gunlis legte den Arm um sie.
»Dumme Frage. Hätten mehr von unseren alten Menschen Angehörige, die sich öfter um sie kümmern würden, sähe die Welt ganz anders aus. Warten Sie hier, ich mache sie fertig.«
Justine sank auf eine Bank. Der Fußboden war blank wie ein Spiegel, er schien unendlich lang. In einiger Entfernung ging ein farbiger Mann mit einem Putzwagen vorbei. Es roch nach Kaffee und Kot.
Ein gekrümmter und sehr faltiger Mann trat aus einem Zimmer. Er kam ihr schlurfend entgegen, auf eine Gehhilfe gestützt. Unmittelbar vor ihr blieb er stehen.
»Schwester … Arbeiten Sie hier?«
»Nein«, sagte sie und wurde rot.
»Da können Sie aber verdammt froh sein, das ist nämlich kein schöner Ort.«
Gunlis kehrte zurück.
»Was ist denn, Martin? Hast du Probleme?«
»Ich will nach Hause, das ist das Einzige, was ich will. Ich verstehe nicht, warum ich hier eingesperrt bin.«
Gunlis schüttelte den Kopf.
»Lieber Martin, wir haben dich hier doch nicht eingesperrt.«
Der Mann spuckte aus, braune und klebrige Spucke landete auf den Schuhen der Krankenschwester.
Ihr traten die Tränen in die Augen.
»Aber Martin!«
Er sah sie drohend an.
»Du rührst mich nicht an, du kannst verseucht sein, der radioaktive Staub verbreitet sich wie der Wind, er verbreitet sich und geht über uns allen nieder …«
Gunlis’ Gesicht verzog sich. Sie verschwand in der Toilette, Justine hörte, wie sie Wasser laufen ließ. Ein Mädchen mit einem Pferdeschwanz kam aus Floras Zimmer.
»Waren Sie es, die Flora abholen wollte?«
»Ja.«
»Ich habe sie angezogen und in den Rollstuhl gesetzt.«
»Gut.«
»Könnten Sie sie vielleicht allein nach unten bringen?«
»Ja, sicher. Ich kenne das schon.«
Flora saß in eine Decke gehüllt. Eine grob gestrickte Mütze war über ihren Kopf gezogen. Sie starrte Justine an, ließ sie nicht aus den Augen. Als Justine losging, kam Gunlis wieder heraus.
»Entschuldigen Sie bitte«, sagte sie. »Ich habe die Fassung verloren. Ich bin wohl etwas müde.«
»Es ist nicht besonders nett, bespuckt zu werden.«
»Er kann ja nichts dafür. Er denkt, er wäre als Gefangener hier. Was wäre es doch schön, wenn er auch jemanden hätte, der hierher käme und ihn auf Ausflüge mitnähme. Was meinst du, Flora?« Sie beugte sich hinab und rückte die Strickmütze zurecht.
»Machen Sie sich einen schönen Tag, Sie beide!«
6. KAPITEL
Sie redete mit Flora, die ganze Zeit redete sie mit ihr. Sie hatte sie angeschnallt, fuhr jetzt in den Kreisverkehr von Vällingby.
»Erkennst du alles wieder, Flora, es ist schon was her, dass du draußen warst, findest du, es sieht aus wie früher, weiter weg, bei den kleinen Häusern zwischen Åkeshov und Ängby, da bauen sie jetzt Lärmschutzwände, um nicht gestört zu werden, an so was brauchen wir nicht zu denken, wir werden ja doch nie gestört, wir sind immer für uns gewesen, bei uns ist es ruhig und gemütlich gewesen, nicht wahr, kleine Flora, kanntest du übrigens diesen Martin, der mit so einer Gehhilfe geht, stell dir mal vor, zu glauben, dass man ihn gefangen hält, stell dir mal
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