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Gute Nacht, mein Geliebter

Titel: Gute Nacht, mein Geliebter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Inger Frimansson
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Bett, und sie hörte ihre dünne Stimme, ihre flehende Stimme:
    »Kannst du mich sehen, Flora? Kannst du mich hören?«
    Ihr Zunge fühlte sich an wie ein Stück vertrockneter Rinde.
    Das Zimmer war hell, eine Krankenschwester kam herein.
    »Versteht sie, was ich sage?«
    Der Blick der Krankenschwester, ehe sie gemeinsam hinausgingen. Flora versuchte, die Hand zu heben, um die Decke zur Seite zu schlagen. Sie wollte aufstehen, sie musste einen Spiegel finden, um zu sehen, was mit ihr geschehen war. Man hatte ihr Beruhigungsmittel gegeben, sie hatte vergessen, wie sie hierher gekommen war.
    Aber sie konnte ihre Hand nicht heben.
    Sie nicht einmal bewegen.
     
    Anfangs hatte man sie noch einer ganzen Reihe von Tests und Blutuntersuchungen unterzogen. Täglich hatten sie Flora fortgerollt, zu Behandlungsräumen und Röntgenapparaten. Sie hatten Nadeln in ihre Arme gestochen, Instrumente über ihre Fußsohlen gezogen und Fragen gestellt, fühlen Sie wirklich überhaupt nichts, Frau Dalvik, auch nicht den geringsten Druck?
    Nach einer Weile hatten sie aufgegeben.
    Sie hatten Flora auf einer Bahre festgezurrt, und zwei junge Sanitäter hatten sie hinausgerollt. Es war das erste Mal seit sehr langer Zeit, dass Flora an der frischen Luft war, und in diesem Moment begriff sie vollends, dass das Leben, was sie betraf, vorbei war. Als der Krankenwagen aus dem Wendehammer fuhr, fiel ihr Blick kurz auf das große Unfallkrankenhaus, und sie erinnerte sich an Sirenen. Im Pflegeheim hatte man es nicht so eilig.
     
    In den Nächten spürte sie manchmal eine Art Nähe, als ob Sven wieder bei ihr wäre. Er war dann so stark und jung, wie er ganz zu Anfang gewesen war. Sie wollte ihren Kopf mit der Decke verhüllen, er sollte sie nicht so sehen, so gealtert und erniedrigt. Geh, wollte sie ihm zurufen. Geh zurück zu deiner französischen Frau.
    Diese Frau war in der Blüte ihrer Jahre gestorben. Sie hatte er auserwählt, sie hatte ihm ein Kind geschenkt. Flora konnte nie mehr sein als ein unvollkommener Ersatz, sosehr er dies auch verneinte.
    Wenn er wenigstens damit einverstanden gewesen wäre, das Haus zu verkaufen. Dadurch hätte er den Beweis geliefert, dass er auch meinte, was er sagte. Dass er ein neues Leben anfangen wollte. Er weigerte sich. Vieles konnte sie bei ihm durchsetzen, aber das nicht, das Haus war ihm heilig, seine französische Ehefrau hatte es ausgesucht und dort diese Missgeburt von einem Kind hinterlassen, zur ständigen Erinnerung.
    Ihre eigene Muttererde war unfruchtbar.
     
    Jetzt war es wieder Morgen. Tellerklappern und Schritte auf dem Korridor, das Licht, die Vorhänge. Sie sah zum Fenster, schwarz und spiegelnd, noch brannten die Straßenlaternen.
    Die klirrende Stimme einer Weißhose:
    »Guten Morgen, Flora. Gut geschlafen?«
    Wer hat dir das Recht gegeben, mich beim Namen zu nennen? Fort mit der Decke, Hände an den Hüften, am Becken. Das konnte sie noch, Wasser lassen.
    War nicht gezwungen, ihre schlaffen Schenkel zu sehen und das Schwarze, das zu einem Grau ausgedünnt war.
    Die Weißhose säuselte, sie war ein Kind mit blonden Locken.
    »Jetzt ist es endlich Winter geworden, Flora. Herrlich, was! Diese Nacht hat es unheimlich viel geschneit, und es war kalt, fast elf Grad unter Null. Mein Freund hat mich zur Arbeit gebracht. Wir wären die Steigung fast nicht hochgekommen. Er hat allerdings auch nur Sommerreifen, ziemlich abgefahrene noch dazu.«
    Ja, Schnee. Das dumpfe Scharren der Schneepflüge da draußen, es war den ganzen Morgen da gewesen.
    »Jetzt komme ich gleich zu dir und wasche dich, und dann möchtest du sicher auch etwas Leckeres essen!«
    Dieser zwitschernde, naive Optimismus. Als ob einem Menschen in ihrer Situation das Essen noch jemals schmecken würde.
     
    Schnee … Es lag Schnee, als er sie das erste Mal zu sich nach Hause mitnahm. Sie schlitterte den Hang am Haus hinunter und wäre fast gefallen. Da hielt er sie am Ärmel ihres Mantels, aber nicht fest, nicht, als wolle er sie besitzen.
    Es gab eine Frau im Haus, eine Haushälterin. Sie hatte das Essen gekocht und in dem Zimmer gedeckt, das Flora später in ihr blaues Zimmer verwandeln sollte. Es zog kalt von der Haustür und von der Tür zum Keller. Irgendetwas stimmte nicht mit der Heizung, sie war ganz neu. Er war so rührend unpraktisch.
    Flora bekam kalte Füße, denn sie hatte keine Pantoffeln mitgenommen. Sven holte ein Paar seiner Wollsocken, die viel zu groß waren, und sie fror weiter, bis sie ein Glas Wein getrunken

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