Gute Nacht, mein Geliebter
sollst bleiben, wie du bist.«
Der Vogel war mit ihnen hinuntergeflogen. Sie gab ihm das Gleiche zu essen wie ihnen selbst, und er schluckte gierig.
Justine schenkte ihnen Bier ein. Sie saßen an dem kleinen Küchentisch und schauten den Hang hinauf. Es hatte inzwischen aufgehört zu regnen, er hörte, wie er selbst begann, über das Wetter zu reden. Die Banalität daran störte ihn, aber er konnte es nicht lassen.
»Richtig Winter wird es wohl nicht mehr«, sagte er. »Die Seen sind zwar noch von einer Eisschicht bedeckt, aber die bricht bestimmt bald auf. In der Zeitung stand etwas über einen Mann, der draußen auf dem Mälarsee ertrunken ist.«
»Sie haben gestern nach ihm gesucht. Aber dann müssen sie ihn gefunden haben.«
»Ich verstehe nicht, dass die Leute sich auf ein solches Risiko einlassen.«
»Nein, das ist wahr.«
»Ich frage mich gerade … Hast du hier mit diesem Mann gewohnt? Mit dem es jetzt aus ist?«
»Nein«, sagte sie leise. »Habe ich nicht. Er hatte eine Wohnung in der Stadt.«
»Wart ihr lange zusammen?«
»Mehr als ein Jahr.«
»Warum war dann Schluss?«
Sie tippte ein paar Krümel an, fegte sie zu einem kleinen Haufen auf dem Tisch zusammen.
»Er … Es ist ihm etwas zugestoßen … Wir fuhren zusammen in den Regenwald, den Dschungel. Er hatte so viele Ideen, unter anderem wollte er Abenteuerreisen für Europäer organisieren, du weißt schon, mit langen Aufenthalten im Dschungel, man sollte da draußen schlafen und wohnen, eine Menge Strapazen. Ich kam mit, er wollte eine Route planen und Kontakte zu den Einheimischen knüpfen. Aber dann … geschah etwas … Oh, ich möchte lieber nicht darüber sprechen!«
2. TEIL
1. KAPITEL
Sie wurde von einem Geräusch geweckt, einem Klopfen, und war sofort hellwach. Angespannt und gerade auf dem Rücken liegend hatte sie geschlafen, die Arme fest an den Körper gepresst. Ihr Körper war schweißgebadet, sie bekam eine Gänsehaut.
Sie sah sich im Zimmer um, Nathan war nicht mehr da.
Es klopfte erneut, dann wurde die Tür geöffnet.
Eine Frau stand an ihrem Bett. Sie trug ein Tuch auf dem Kopf, das bis in die Stirn hing und auch die Schultern bedeckte. Sie starrte Justine an.
»Cleaning!«, sagte sie auffordernd.
»Cleaning? No, you don’t have to clean up, it is not necessary.« Justine saß an die Wand gelehnt, die Decke bis unter das Kinn gezogen. Curryduft zog zur Tür herein. Von der Straße waren Motorengeräusche und hämmernde Schläge zu hören, als wäre ein riesiger Hammer gerade dabei, etwas in den Asphalt zu treiben.
Die Frau verzog das Gesicht, drehte sich um und verschwand wieder. Die Tür schlug zu.
Justine stand vorsichtig auf. Ihr war schwindlig. Sie ging in die Dusche, hatte entsetzliche Kopfschmerzen. Auf dem Fußboden lag ein Blatt Papier, und als sie auf der Toilette saß, sah sie, wie eine Eidechse darunter kroch und sich versteckte. Auf dem Blatt stand etwas geschrieben. Sie las:
Bin für ein paar Stunden draußen. Bis heute Nachmittag. Kuss.
Sie traute sich nicht, das Blatt zu berühren, zog ihren Slip aus und legte ihn aufs Bett. Sie hatte panische Angst, die Eidechse könne hineinkriechen und es sich dort bequem machen. Es gab nur ein Handtuch. Nathan hatte es benutzt, es hing über dem Stuhl. Zwischen Wand und Dach, zum Hotel hin, war eine Lücke. Sie hörte schrille Frauenstimmen, die in einer fremden Sprache schnell daherredeten.
Unter dem lauwarmen Wasser der Dusche wusch sie sich gründlich. Sie war wund gesessen, und ihr taten alle Knochen weh. Die Reise hatte fast dreißig Stunden gedauert. In London mussten sie in einer engen und verrauchten Lounge warten, quengelnde Kinder, zu wenig Sitzplätze. Sie hätte eigentlich auf Toilette gemusst, wagte aber nicht, die Lounge zu verlassen, weil sie Angst hatte, das Boarding zu verpassen. Als sie es Nathan sagte, merkte sie, dass er gereizt wurde.
Sie mussten kreuz und quer durch die gewaltige Abfertigungshalle laufen, bis sie das richtige Gate gefunden hatten. Nathan passte es nicht, die Situation nicht unter Kontrolle zu haben. Es passte ihm nicht, fragen zu müssen.
Im Flugzeug bekamen sie Plätze, die weit entfernt voneinander lagen. Nathan verschlug es zwischen die Raucher. Sie selbst landete neben einem zierlichen belgischen Paar in eleganten Kleidern. Sie fühlte sich dick und fett. Sie drehte sich um und suchte nach Nathan, sah ihn aber nicht. Dann stoppte sie eine der jungen Stewardessen, die in ihren hübschen Kleidern durch die Reihen
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