Gute Nacht: Thriller (German Edition)
gut. Das verdammte Geld. Am schlimmsten hat es den jämmerlichen Steuerberater erwischt, weil seine Schwester mit ihren verkorksten Kindern die ganze Kohle abgeräumt hat. Dann war da noch der blöde Bäcker, der von seiner großen blonden Mama vor allem Schulden geerbt hat. Die süße kleine Anwaltswitwe hat es nicht schlecht getroffen – bekam am Ende zwei oder drei Millionen, vor allem weil ihr Mann eine Wahnsinnslebensversicherung hatte. Über diesen Müll haben die in ihrer Selbsthilfegruppe gelabert. Sind Sie auch an diesem Müll interessiert?«
»Wenn Sie’s mir erzählen wollen.«
»Klar, prima. Larry Sterne hat die zahnmedizinische Schönheitsfabrik von seinem Alten gekriegt, die bestimmt Millionen wert ist. Roberta, die furchterregende Lady mit den furchterregenden Kötern, hat den millionenschweren Kloladen von ihrem Hurenbockvater bekommen. Und dann gibt’s natürlich noch mich. Mein gieriger Scheißerzeuger hatte beim Börsenhändler Fidelity ein Konto im Wert von über zwölf Millionen, als er ins Gras biss. Und falls sich das wahrheitsliebende Fernsehpublikum für die neueste Entwicklung interessiert – auf diesem Konto, das jetzt auf meinen Namen läuft, liegen inzwischen siebzehn Millionen. Da drängt sich natürlich eine Frage auf: Wenn der kleine Jimi Brewster so einen Haufen Geld hat, warum wohnt er dann in dieser Bruchbude? Die Antwort ist ganz einfach. Können Sie es erraten?«
»Nein, Jimi, das kann ich nicht.«
»Ach, das könnten Sie bestimmt, wenn Sie sich anstrengen würden. Aber ich verrate es Ihnen auch so. Ich spare alles bis auf den letzten Cent, um es dem Guten Hirten zu schenken, falls sie ihn je erwischen.«
»Sie wollen das Geld Ihres Vaters dem Mann geben, der ihn getötet hat?«
»Jeden einzelnen Cent. Für eine solide Verteidigung sollte das doch reichen, finden Sie nicht?«
38
Der White-Mountain-Würger
Die Aufnahme dauerte noch weitere zehn oder fünfzehn Minuten, doch der Plan zur Verwendung des Erbes von Dr. James Brewster bildete zweifelsfrei den dramaturgischen Höhepunkt. Nachdem noch kurz über Jimis aktuelle Einkommensquelle geredet worden war – er betrieb eine kleine Webdesign- und Computerberatungsfirma –, versickerte das Interview allmählich im Sand. Der Film endete damit, dass Kim sich mit ernstem Gesicht von Jimi verabschiedete und ihm versprach, sich schon bald wieder bei ihm zu melden.
»O Mann.« Gurney schaltete den Computer ab und lehnte sich zurück.
Madeleine seufzte. »So voller Schuldgefühle.«
Neugierig schaute er sie an. »Schuldgefühle?«
»Er hat seinen Vater gehasst und ihm wahrscheinlich den Tod gewünscht. Vielleicht hoffte er sogar, dass ihn jemand umbringt. Und dann wurde er wirklich umgebracht. Das ist eine schwere Bürde.«
»Selbst wenn er nichts damit zu tun hatte …« Gurney dachte laut vor sich hin.
»Irgendwie hat er schon was damit zu tun. Als sich sein Traum erfüllt hat, musste er der Tatsache ins Auge sehen, dass das sein Traum gewesen war. Dass er bekommen hat, worauf er jahrelang gehofft hatte.«
»Ich meine in dem Film viel mehr Wut als Schuldgefühle gesehen zu haben.«
»Wut tut nicht so weh wie Schuldgefühle.«
»Du meinst, man kann es sich einfach aussuchen?«
Madeleine blickte ihn lange an, ehe sie antwortete. »Wenn man darauf beharrt, dass der eigene Vater für seine gemeinen Taten den Tod verdient hat, dann kann man auch ewig wütend bleiben, statt Schuldgefühle zu entwickeln, weil man ihm den Tod gewünscht hat.«
Gurney beschlich der unangenehme Eindruck, dass sie ihm nicht nur etwas über Jimi Brewster erzählte, sondern auch über das schwierige Verhältnis zu seinem eigenen verstorbenen Vater – einem Mann, der ihn als Kind ignoriert und den er in späteren Jahren seinerseits ignoriert hatte. Aber im Moment verspürte er keine Lust, sich mit diesem heiklen Gebiet zu befassen. Die Gefahr, in einem Sumpf ungeklärter Vater-Sohn-Fragen stecken zu bleiben, war viel zu groß.
Im Moment kam es vor allem darauf an, alle Kräfte zu bündeln. Das hieß, er musste weiterbohren, weiter in Bewegung bleiben. Er lief hinüber in die Küche, um sein Handy zu holen.
Lieutenant Bullard hatte den Brewster-Film schon seit Mittag und bestimmt inzwischen die Zeit gefunden, ihn sich anzusehen. Allerdings war es seltsam, dass sie noch nicht angerufen hatte, um mit ihm darüber zu reden. Oder vielleicht auch nicht so seltsam angesichts der brisanten Situation und der instabilen Machtverhältnisse. Vielleicht
Weitere Kostenlose Bücher