Guten Morgen, meine Schoene
Verzweiflung machte sich in ihr breit. Es war undenkbar, dass sie auch nur eine weitere Nacht auf Morgan’s Hope blieb. Sie musste sofort abreisen. Noch heute.
Aber vorher würde sie Jed erzählen, was sie herausgefunden hatte. Das war sie ihm schuldig, obwohl sie davor Angst hatte.
Sie blickte auf die Uhr. Er musste jeden Augenblick kommen.
Sie umklammerte den Griff der Autotür und ließ den Blick über den Parkplatz schweifen. Es gab ihr einen Stich, als sie Jed auf sich zukommen sah. Ihre heimliche Hoffnung, er habe Brianna vielleicht nicht erreicht, schwand beim Anblick seiner grimmigen Miene. Er wusste bereits alles.
Bitte mach, dass er mich nicht jetzt gleich vor den Kindern beschimpft, betete sie und ging ihm rasch entgegen, um ihn davon abzuhalten.
»Jed, ich weiß, wir müssen miteinander reden, aber bitte, lass uns damit warten, bis wir in Morgan’s Hope sind!«
bat sie.
»Ja, natürlich. Dies ist weder die Zeit noch der Ort für…« Er verstummte, als es plötzlich heftig donnerte.
»Los, ins Auto«, befahl er barsch. »Da hinten zieht ein Gewitter auf. Gib mir die Schlüssel«, fügte er hinzu und schob Sarah auf den Wagen zu.
»Ich fahre.«
Sie wollte protestieren, doch der entschlossene Ausdruck in seinen Augen ließ sie verstummen. Wortlos reichte sie ihm die Autoschlüssel.
Wolkenbruchartig prasselte der Regen gegen die Wind-schutzscheibe, als Jed den Wagen über die kurvenreiche Bergstraße lenkte. Kaum hatten sie die Stadt hinter sich gelassen, hatte der Himmel seine Schleusen geöffnet, und die Straße war gefährlich glatt.
Jed blickte kurz zu Sarah, die in verkrampfter Haltung neben ihm saß und starr nach vorn sah. Wo ist dieses ver-dammte Unwetter nur so schnell hergekommen, dachte er irritiert. Angst und Schrecken waren das Letzte, was Sarah in ihrem Zustand brauchte.
Zum Glück hatten sie nur noch wenige Kilometer zu fahren.
Den Blick ganz auf die Fahrbahn konzentriert, hatte Jed den anschwellenden Bach weiter oben links zuerst gar nicht bemerkt.
Nun stockte ihm beinahe der Atem, als er das Wasser über die Ufer laufen und den Berg herunterstürzen sah, gebremst nur von einer Steinmauer, die offensichtlich zu diesem Zweck gebaut worden war. Immer heftiger sprudel-te das Wasser und ergoss sich über die Straße.
Das konnte gefährlich werden.
Er umklammerte das Steuerrad und gab Gas. Im gleichen Augenblick sah er mit Entsetzen, dass die Mauer den Was-sermassen nicht mehr standhielt und ein reißender Strom über den Abhang auf die Fahrbahn stürzte.
»Jed!« Sarahs Stimme war von Angst erfüllt. »Sieh doch…«
»Halt dich fest!« Die Reifen quietschten, als er den Wagen in das tosende Wasser jagte, das die Fahrbahn über-flutete. »Wir werden es schaffen!« Er war sich dessen allerdings keineswegs sicher.
Vage nahm er wahr, dass hinter ihm Vicky »Was ist los?«
rief, während er all seine Aufmerksamkeit darauf konzent-rierte, den Wagen durch die reißenden Fluten bergauf zu steuern. Panik überkam ihn, als die Reifen auf dem schlammigen Untergrund ins Rutschen gerieten. Er trat das Gaspedal bis zum Anschlag durch…
Und dann hatten sie es geschafft.
»Sarah?« Seine Stimme klang rau. »Bist du okay?«
Er hörte sie vernehmlich aufatmen. »Ja, alles in Ordnung.« Sie sank in ihren Sitz zurück.
Vicky öffnete den Sicherheitsgurt und kniete sich auf den Rücksitz, um durchs Heckfenster zu sehen. »Mein lieber Scholli!« rief sie aufgeregt. »Die ganze Straße wird weggeschwemmt!«
Jed blickte in den Rückspiegel und unterdrückte nur mühsam einen Fluch. Eine Lawine aus Geröll und Schlamm ging auf die Straße nieder. Das war knapp gewesen.
Und verdammt, sie waren vorerst auf Morgan’s Hope von der Außenwelt abgeschnitten.
Trotzdem überwog bei ihm die Erleichterung. Nie hätte er es sich verziehen, wenn Sarah oder den Kindern etwas passiert wäre.
Er warf einen kurzen Seitenblick auf Sarah und erschrak.
Schon auf dem Parkplatz war sie ihm ungewöhnlich blass und erschöpft vorgekommen, doch nun war ihr Gesicht aschfahl.
Kurzerhand entschied er, ihr heute nicht mehr zu erzählen, was er alles über Jeralyn herausgefunden hatte. Er würde berichten, dass seine Frau gestorben sei, Sarah aber Einzelheiten von Jeralyns Tod ersparen, um sie nicht unnö-
tig aufzuregen. Sie hatte heute schon genügend durchgemacht.
Irgendwie hatte er das tiefe Bedürfnis, sie zu beschützen.
Und während er darüber nachdachte, wurde ihm bewusst, wie viel seine Schwägerin
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