Guten Morgen, Tel Aviv
kurz besprechen«), Entzugserscheinungen bei Konsumreduktion (»ich habe mein Handy zu Hause vergessen und werde daher bald sterben«) sowie die Veränderung der Persönlichkeit (zum Beispiel die Imitation eines Freizeichens, bevor der Betroffene anfängt zu sprechen).
Israelis lieben ihre Handys einfach. Ob unter dem Motorradhelm oder im Swimmingpool. Sie können nicht ohne. Alle rufen ständig alle an. Die meisten meiner deutschen Freunde telefonieren nur kurz. Nur das Nötigste. Effektiv und effizient. In Israel dagegen kann sich eine fünfminütige Konversation einzig und allein um Fragen nach der Befindlichkeit drehen. Auf »Wie geht’s?«, antwortet der Israeli mit »Was ist die Situation?«, worauf der andere wiederum »Was gibt’s Neues?« oder »Was passiert?« entgegnet und so weiter. Bis schließlich einer sagt, dass er jetzt auflegen muss, da er einen Anruf auf der anderen Leitung hat.
Mein wunderbarer Lebensfreund ist da leider keine Ausnahme. Telefonierte er in Berlin noch durchschnittlich, ist sein Handyolismus hier in Israel zu einem ernsten Problem geworden. Tagtäglich schließt er, von der Arbeit heimkehrend, die Wohnungstür mit dem Gerät am Ohr auf. Dabei liegt sein Kopf im 90-Grad-Winkel auf der Schulter. In der einen Hand hält er seine Tasche, in der anderen den Motorradhelm. Manchmal hat er auch noch eine Tüte rechts oder links am Arm. Er sieht gequält aus. Seine Körperhaltung erinnert an den Glöckner von Notre-Dame.
Das Handy bestimmt sein Leben mehr und mehr. Egal, wo wir wann sind, es klingelt immer. Und wenn es nicht klingelt, muss er dringend jemanden zurückrufen. Mehrmals habe ich ihn schon dabei erwischt, wie er morgens um sieben müde und erschöpft an der Strippe hing. Seit sein Telefon auch noch auf dem Nachttisch liegt, schläft er immer schlechter. Und mit mir hätte er sowieso am liebsten eine Standleitung. Schätzungsweise zehnmal am Tag ruft er mich an, um absolut nichts zu besprechen. Ich fürchte, ich bin dafür einfach zu deutsch.
Ich telefoniere nur, wenn ich etwas zu sagen/besprechen/fragen/erzählen habe. Telefonieren ist bei mir zweckgebunden. Ich verabrede mich, frage, wie bestimmte Ereignisse waren, oder erzähle selbst Neuigkeiten. Natürlich kann ich stundenlang mit meinen Freundinnen plaudern. Aber zielgerichtet! In Israel ist das anders. Alle sind hier betroffen. Selbst mein Rabbi hat Handyolismus!
Als wir uns das erste Mal persönlich treffen wollten, rief ich ihn zur Terminabsprache an. Er sagte, er rufe mich zurück. Als er das schließlich tat, musste er mitten im Gespräch weg. Er schickte im Anschluss eine SMS , ich könnte ihn tags darauf ab neun erreichen. Unser nächstes Gespräch drehte sich dann endlich um die Frage nach einem Termin. Er bestätigte, Montag könnte gut sein. Ich fragte wann. Er antwortete: »Ruf mich Montagmorgen noch einmal an.«
Es ist ein Teufelskreis. Niemand hier vereinbart jemals Termine oder Treffpunkte im Voraus. Natürlich nur, damit man kurz vorher noch einmal telefonieren muss. Und je öfter man telefonieren kann, desto besser. Diagnostisch gesehen handelt es sich dabei um die symptomatische Phase. Der Handyoliker sucht sozial passende Gelegenheiten, die es, wie beiläufig, erfordern, dass er telefoniert. Irgendwann geht es nur noch um die Vermeidung von Entzugssymptomen, und dann kommt auch schon die Beschaffungskriminalität. In Israel keine untypische Handyoliker-Karriere, sind doch Mobiltelefone gesellschaftlich anerkannte Drogen hier, deren exorbitanter Konsum geradezu erwartet und gefördert wird.
In letzter Zeit jedoch beschweren sich israelische Arbeitgeber vermehrt über zu hohe Handyrechnungen, die sie oft tragen müssen. Auch mein wunderbarer Lebensfreund ist davon betroffen. Deswegen hat er beschlossen, eine Therapie zu machen und zu den Treffen der anonymen Handyoliker zu gehen. Ein guter erster Schritt, wie ich finde. Bevor Süchtige behandelt werden können, müssen sie die Veränderung wollen. Ich unterstütze ihn mit Liebe, Wärme und Verständnis. Jetzt muss er nur noch einen Termin vereinbaren. Telefonisch natürlich.
Grün
Wenn man aus Israel nach Deutschland kommt, kann man nicht glauben, wie grün das Land ist. Grün, leer und ruhig. Früher war Grün meine Lieblingsfarbe, meine Tante A. mochte Grün auch und hatte mir erzählt, dass Grün die Farbe der Hoffnung ist. Heute ist meine Lieblingsfarbe ein kräftiges, leuchtendes Pink. Laut Farbenbedeutungslehre (die Quelle mag hier etwas
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