Guy Lacroix: Auf der Jagd nach dem Rosenkranzmörder (Clockwork Cologne) (German Edition)
legte einige Stücke Kohle nach. Er gab die Materia hinzu und beobachtete, wie sie mit der Flüssigkeit verschmolz. Alles war perfekt vorbereitet.
Das Kind saß apathisch in Absolons Sessel und starrte den schmutzigen Boden an. So dünn, so jung. Vielleicht sogar unschuldig. Er berührte den schmalen Hals und das Kind hob langsam den Kopf und sah ihn an. Grüne Augen. Wann hatte er zum letzten Mal etwas Grünes gesehen?
»Denkst du, du wirst es heute noch schaffen, Absolon? Oder möchtest du deine Zeit lieber weiterhin damit verschwenden, dieses Balg anzusehen? Dann bitte, es eilt nicht. Es ist ja nur dein alter Meister, der seines Körpers beraubt in kaltem Aether dahinvegetiert.«
Absolon schüttelte den Kopf. »Verzeiht, aber ich musste mich versichern, dass das Kind gesund …«
Magister Pötts hohles Lachen schnitt ihm die Worte ab. »Ich wünschte, ich hätte Hände, dann würde ich dich lehren, was es heißt, seinem Meister ins Gesicht zu lügen. Das weißt du doch, nicht wahr?«
Absolon berührte die Narben auf seiner Wange. »Ja, Meister. Ich bin soweit.« Er gab dem Kind einen Schlag auf die Schulter. »Zieh dich aus!«
Bleiche Hände versuchten die Bänder des Hemdes zu öffnen und zogen sie zitternd zu Knoten zusammen.
Absolon zog sein Messer hervor und zerschnitt kurzerhand die Schnüre. »Los, mach schon«, zischte er ungeduldig.
Magister Pötts pfiff die Melodie von Der Treue Husar. Das Kind zog das Hemd über den Kopf. Seine Brust war bis zum Hals hinauf von frischen Narben überzogen. Absolon nahm die Lampe vom Tisch und besah sich die Narben genauer. Das war ein Muster. Er fuhr die Linien mit dem Finger nach und das Kind begann am ganzen Leib zu zittern. An einigen Stellen waren schwarze Linien zu erkennen, die die Narben nicht überdeckten. Da hatte jemand versucht, eine Tätowierung zu entfernen, sich aber nicht besonders viel Mühe gegeben. Zwischen den Schlüsselbeinen, direkt in der Halskuhle war eine Narbe zu erkennen, die offenbar von einem tiefen Einschnitt her rührte und fachmännisch vernäht worden war. Wieder fuhr Absolon die Konturen der Tätowierung nach. Das war kein einfaches Muster. Mathemagie. Er kaute auf seinem Daumennagel und spuckte die Nagelsplitter auf den Boden. Das war etwas, das er natürlich nicht in seine Berechnungen einbezogen hatte. Wenn sich die Materia mit einem mathemagisch veränderten Körper verband, konnte das ungeahnte Folgen haben.
»Was ist los? Was treibst du da nur?«
»Ich fürchte, der Körper ist nutzlos. Ein verdammter Mathemagier hat ihn unbrauchbar gemacht.« Dieser verfluchte Auktionator. Zum Teufel mit ihm! Wenn er nicht durch dieses blaue Brimborium abgelenkt gewesen wäre, hätte er die mathemagischen Eingriffe erkennen können, bevor er sein Geld zum Fenster hinaus warf.
»Trottel! Was habe ich mir nur dabei gedacht, dich auszubilden? Ich muss verrückt gewesen sein. Ich hätte mich nicht mit dem Zweitbesten zufrieden geben dürfen. Du kannst Theodorus nicht das Wasser reichen. Niemals.«
»Theodorus.« Absolon spuckte den Namen aus wie einen Knorpel. »Er hat Euch im Stich gelassen. Und vielleicht hatte er recht.«
»Wie kannst du es wagen, so mit mir zu reden? Du einfältiger, nichtsnutziger …«
Absolon nahm die Wolldecke von der Sessellehne und warf sie über das Ætherbecken. Dann ging er im Zimmer auf und ab. Welche Möglichkeiten hatte er? Den Versuch trotzdem zu wagen, schloss er aus, die Unbekannten waren zu groß. Er musste einen neuen, unversehrten Körper beschaffen. Aber wollte er das überhaupt? Nun, er musste es tun, Magister Pötts‘ Gehirn enthielt einfach zu viele Informationen, auf die er nicht verzichten konnte. Aber das eilte ja nun nicht mehr. Den neuen Körper konnte er auch später noch beschaffen. Die Materia bot ungeahnte Möglichkeiten. Er – Absolon Quast – würde derjenige sein, der sie sich zu Nutze machte. Dazu benötigte er Magister Pötts nicht.
Gedankenverloren starrte er das Kind an, das sich auf dem Sessel zusammengerollt hatte und eingeschlafen war. Das war eine Nachwirkung der Drogen, mit denen es ruhig gestellt worden war.
Es gab keine Mathemagier in der Unterwelt. Das Kind musste aus der Oberstadt hierher geschafft worden sein, jemand hatte es los werden wollen.
Die Tätowierungen waren fein verschlungene, komplizierte Gebilde, nicht die Arbeit eines Stümpers, auch wenn sie teilweise stümperhaft entfernt worden waren. Vielleicht konnte das Kind ihm doch auf die eine oder andere
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