Gwen (German Edition)
Die Bürotür stand offen.
Vorsichtig trat sie auf den Gang, hörte etwas Unbestimmbares auf der Treppe, sah von dort einen schwachen Lichtschein und schlich darauf zu. Eng an die Wand gedrückt stieg sie eine Stufe nach der anderen die Treppe hinab, bis sie den Ausgang sah und die Kidnapper, die Statlers Körper nach draußen schleppten.
Sie befanden sich an der Hinterfront des Bürohauses. Außer den Entführern und ihrem leblosen Opfer befand sich keine Menschenseele dort im fahlen Licht der dürftigen Straßenbeleuchtung. Nur ein paar Müllcontainer. Und ein Krankenwagen, dessen hintere Tür offen stand.
Während vier schwarz gekleidete Männer den schlaffen Dirk Statler fluchend in den Krankenw agen hievten, schlüpfte Gwen durch den Ausgang und versank lautlos zwischen der Wand des Bürogebäudes und dem nächststehenden Müllcontainer.
E inen schrecklichen Moment lang glaubte sie, die Kerle hätten sie entdeckt, denn einer kam zurück. Doch er ging an ihr vorbei, um die Hintertür des Gebäudes zu schließen und dann wieder zum Krankenwagen zurückzukehren. Er schwang sich mit den anderen in das Fahrzeug und zog dessen Flügeltür zu. Der Motor des Wagens startete.
Gwen überlegte panisch. Hinten am Krankenwagen war ein Trittbrett. Und Griffe außen an der Flügeltür. Das musste genügen!
Sie hetzte geduckt zum Krankenwagen und stellte sich auf das Trittbrett. So fest, wie sie konnte, klammerte sie sich an beiden Türgriffen fest. Der Krankenwagen startete. Verbissen verkrampften sich ihre Hände um das kühle Metall, als der Wagen beschleunigte. Wie durch ein Wunder schaffte sie es, sich festzuhalten. Am schlimmsten waren die Kurven.
Um diese Zeit w ar nicht mehr viel los auf den Straßen dieser amerikanischen Stadt, die deshalb von der New-York-verwöhnten Pat immer als biederes, verschlafenes Kaff ohne Charakter verhöhnt wurde. Nur eine alte Frau, die einen Pudel Gassi führte, starrte entgeistert dem Krankenwagen mit Gwen auf dem Trittbrett nach. Die Fahrt ging in die Außenbezirke Catnecktowns.
Gerade als Gwen glaubte, ihre Finger würden absterben und an den Griffen hängen bleiben, während der Rest ihres Körpers gleich über den Asphalt schrammen würde, hielt der Wagen an.
Wie eine zähe Flüssigkeit glitt Gwen auf die Straße und rollte unter das Fahrzeug. Und schon wurde die Hintertür aufgerissen. Zwei der Kerle schleppten Dirk Statlers leblosen Körper mit sich, die anderen folgten. Sie verschwanden mit ihm in einem düsteren, verlassen wirkenden Gebäude. Eine alte Fabrik, eine Lagerhalle?
Wie in Ellmstadt!
Die Angst um Dirk zwang sie, unter ihrem sicheren Versteck hervor zu kriechen und vorsichtig in den Krankenwagen zu spähen. Kein Mensch war mehr dort, auch im Fahrerhaus nicht. Ein kurzer Blick in die Umgebung verriet Gwen, warum die Entführer keine besonderen Vorsichtsmaßnahmen treffen mussten, denn die Gegend war menschenleer und düster.
Hier gab es keine Straßenlampen mehr, und nur die Sterne und der Mond warfen ein trostloses Licht über verfallene Schuppen, Bauschutt und das schaurige Gebäude, in das die Entführer Dirk brachten. Gwen schlich näher heran. Ein Stück Glas zerbarst knirschend unter ihrer Fußsohle und ließ sie erschrocken innehalten.
Nichts geschah.
Sie schlich weiter und lugte durch eine der zerborstenen Fensterscheiben ins Innere des Gebäudes. Dort standen sieben furchteinflößende Männer im Licht ihrer Taschenlampen und blickten auf Dirk herab, der reglos am Boden lag. Gesprächsfetzen drangen an Gwens Ohr, von denen sie lediglich entziffern konnte: „… wirkt noch etwa eine halbe Stunde … warten, bis er aufwacht …“ So lange wartete Gwen nicht.
Während sie zur Straße zurück hastete, rasten auch ihre Gedanken. Sie musste Hilfe holen, denn mit sieben Männern konnte sie es unmöglich ohne Waffe aufnehmen. Mit dem Krankenwagen konnte sie nicht wegfahren, selbst wenn der Schlüssel im Zündschloss steckte, denn das würde die Kidnapper alarmieren, und sie würden Dirk woanders hinbringen. Also rannte Gwen, rannte, bis sie nicht mehr konnte.
Schmerzhaft nach Luft ringend blieb sie irgendwann stehen. Was sie im Dunkeln ausmachen konnte, waren Fabrikhallen oder Lagerstätten, alles verlassen, alles ausgestorben. Kein Wohnhaus, wo man klingeln und von dort aus die Polizei rufen konnte. Nichts, nur öde Endzeitstimmung.
Gwen wusste, wo sie war. Und das raubte ihr den letzten Mut. Sie und Pat hatten sich einmal verfahren und waren in
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