Gwen (German Edition)
Stille der Nacht. Gwen wusste nicht, wie spät es war, doch es war ihr auch gleichgültig. Zeit spielte keine Rolle, nichts spielte eine Rolle. Nichts, außer der Wärme des Mannes. Nichts, außer seinem sanften Atemrhythmus. Nichts, außer Duft seiner Haut und dem Gefühl seiner kraulenden Finger in ihrem Haar.
Gwen hasste den Gedanken, seine Wärme aufgeben zu müssen, doch der Druck auf ihre Harnblase forderte seinen Tribut. Außerdem fing nun ihre Nase an zu laufen. So löste sie sich mit innerem Bedauern aus Dirk Statlers Umarmung, erhob sich, ging aus dem Wohnzimmer und die Treppe hinauf. Er folgte ihr.
„Ich weiß Ihre Fürsorge wirklich zu schätzen“, erklärte sie ihm schniefend, „aber das, was ich vorhabe, erledige ich besser allein.“
„ Ich will nur Ihre Medizin holen.“ Er verschwand in Gwens Zimmer.
Sie nahm sich Zeit, denn das Treppauf- und Tre ppabsteigen war enorm anstrengend, obwohl sie sich dabei Halt suchend am Geländer festkrallte. Als sie schließlich mit einer Packung Papiertaschentücher ins Wohnzimmer zurückkehrte, war ihr schwindlig vor Schwäche. Ihr Puls pochte hämmernd in den Schläfen, und Gwen war einzig darauf fokussiert, es noch bis zu ihrer Bettdecke vor dem Kamin zu schaffen, um dort erleichtert zusammenbrechen zu können.
Doch Dirk Statler stellte sich ihr in den Weg und deutete wor tlos auf den Wohnzimmertisch, auf dem ihre Tasse von vorhin stand, gefüllt mit dampfendem Inhalt. Unfähig zu einer Konfrontation mit ihm sank Gwen auf das Sofa und trank den Ingwertee in kleinen, halbwegs erträglichen Schlucken.
Währenddessen sah sie Statler zu, wie er Holz nac hlegte. Als er zu ihr trat und in ihre Tasse schaute, war sie noch halbvoll. Mit verschränkten Armen und eisenhartem Blick stand er so lange vor ihr, bis sie ausgetrunken hatte. Sofort reichte er ihr einen Löffel voll Penicillinsaft, den sie sich willig einflößen ließ. Danach deutete er mit dem Daumen in Richtung Kamin und fragte: „Legen Sie sich freiwillig hin, oder muss ich wieder nachhelfen?“
Sie legte sich freiwillig hin. „Sie sind ein T yrann!“, erklärte sie und wunderte sich darüber, dass sie sich sehr zusammenreißen musste, um ihn nicht anzulächeln.
„Schon möglich .“ Rasch leerte er sein Bierglas. Dann löschte er das Licht draußen im Gang und auch das im Wohnzimmer, bis der Raum nur noch vom Kaminfeuer beleuchtet wurde. Das an sich hatte noch nichts Besorgniserregendes - wohl aber die Tatsache, dass Dirk Statler begann, sich auszuziehen, Turnschuhe, Socken, T-Shirt. Der Feuerschein brach sich im Relief seiner bedrohlichen Armmuskeln, als er sich Gwen zuwandte.
„Was tun Sie da ?“, stieß sie hervor und schützte sich mit zwei vorgehaltenen Sofakissen.
„Keine Panik, Lady !“ Sanft löste er Gwens verkrampfte Hände von den Kissen. „Ich halte mein Versprechen. Aber da so nah am Kamin ist es so sauwarm, dass ich es sonst nicht aushalte.“ Er behielt glücklicherweise seine Jeans an, zog Gwen an sich und breitete die Bettdecke über sie und sich aus. Er kraulte ihr Haar, bis ihr Kopf entspannt auf seine Brust sank. Seine Brusthaare kitzelte ihre Wange.
Dankbar für die Wärme, die Dirk Statler ihr schenkte, schlief Gwen ein.
Als die Kleine sich bewegte, wachte Dirk auf. Er spürte, wie sich ihre Hand auf seinem Bauch abstützte und gleich wieder zurückzuckte. Gwens Oberkörper fuhr hoch.
Im Kamin war nur noch Glut. Das rote Licht, das von dort au sging, war zwar recht schwach, aber es reichte aus, dass Dirk Gwens erschrecktes Gesicht sehen konnte, als sie ihn anstarrte.
Er streichelte ihre Wange und sagte beruhigend: „Alles Roger, Lady! Ich bin’s nur: der gute alte Dirk. Und jetzt schlafen Sie weiter!“
Unerwartet brav legte sie sich wieder hin. Es war zu dunkel, um auf die Uhr sehen zu kö nnen, aber Dirk schätzte, dass es kurz nach Mitternacht war. Es war noch eine Bullenhitze im Zimmer, also brauchte er noch nicht nachzuschüren.
Gwens Haare lagen wie Seide auf Dirks Brust. Er drehte sie zwischen seinen Fingern. Und fühlte sich seltsam relaxt. Verdammt gut. Es musste an dieser sentimentalen irischen Stimmung liegen, die ihm hier von überallher entgegenkam. Von den Schaffellen, vom Geruch des verbrannten Holzes, vom Guinness, vom heulenden Wind draußen. An irgendwas davon musste es liegen, dass Dirk es so tierisch schön fand, einfach dösend vorm Kamin zu liegen, diese kleine Frau im Arm zu halten und sich über den irrationalen
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